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Andere Ausprägungen und Richtungen der Mystik sind bestimmt
durch ihre verschiedene Stellung zur Tätigkeit in der Welt, im be-
sonderen durch die verschiedene Fassung des Wesens der Askese so-
wie durch die verschiedene Stellung zur Rolle des Abfalls.
Endlich gibt die enge Verbindung mit der Religion den mysti-
schen Lehren verschiedener Zeiten und Völker jeweils ein bestimm-
tes Gepräge.
Es wird sich zeigen, daß alle diese Verschiedenheiten keine grund-
legenden sind und die Einheit der Mystik aller Zeiten nicht zer-
stören.
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Als den t r a g e n d e n L e h r b e g r i f f der Mystik aller Zei-
ten und Völker kann man ausnahmslos die Einheit des Tiefsten des
menschlichen Geistes mit Gott betrachten. Ohne eine Lehre, die
derjenigen Eckeharts vom Fünklein und dessen Göttlichkeit ent-
spricht, ist keine Mystik denkbar. Gerade hierin gleichen sich auch
die indische, orientalische und europäische Mystik.
Im übrigen ist das B e g r i f f s g e b ä u d e der Mystik stets
das der jeweiligen idealistischen Philosophien. Plotin zum Beispiel
stellt sich auf Platon, Eckehart auf die Platonische Scholastik ein.
IV. Die geschichtlichen Formen der Mystik
Die grundsätzliche Gleichartigkeit der altindischen, griechischen
und deutschen Mystik folgt aus der Gleichheit der letzten Grund-
erlebnisse der Mystik aller Zeiten. Sie trat zum Teil schon hervor
und wird sich noch weiter erweisen. Eine ausführliche Behandlung
ist allerdings unmöglich.
Wie sonst müssen wir uns auch hier die größten Einschränkungen
auferlegen. Daher übergehen wir die große indische Mystik, die mit
ihr zusammenhängende der Pythagoreer, Orphiker, Eleaten und des
Herakleitos, ebenso in der neueren Mystik Dionysios Areopagita,
Augustinus (t 430), Scotus Eriugena
1
, die Viktoriner, Bonaven-
1
Johannes Scotus Eriugena: Uber die Einteilung der Natur (um 8oo), deutsch
von Ludwig Noack, Leipzig 1876 (= Philosophische Bibliothek, Bd 66).