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reichen trotz mancher Abweichungen gleiche Ziele, wenn sie auch

die mystische Lebenskunst mehr betonen.

B. P l o t i n (203—269 n. Chr.)

1

Die Gottes- und Seinslehre Plotins ist durch eine ähnliche Stufen-

folge wie bei Platon bezeichnet. Das Eine

(έν)

oder die Gottheit,

der Geist oder Weltgeist (

νούς

, den Inbegriff der Ideenwelt in

sich schließend); die Weltseele

('ψυχή)

und endlich die Materie

(ΰλη),

die keine eigentliche Hypostase oder Seinsstufe ist, sondern

nur die Möglichkeit bezeichnet, in welcher die Versinnlichung der

Ideenwelt stattfinden kann. Die Aufeinanderfolge der Seinsstufen

wird durch den Begriff der „Emanation“ erklärt. Aus dem Höheren

geht das Niedere hervor, durch Überfließen, Erquellen, Emanieren.

Doch ist dies nur ein Bild. „Wie nun dieses Hervorbringen (Ema-

nieren) beschaffen sei, wie aus der Einheit die Zwei und das Viele

überhaupt hervorgegangen, dies zu sagen und zu wissen, dazu müs-

sen wir die Götter anrufen, aber nicht mit hörbarer Stimme, son-

dern indem wir uns selbst im Gebet zu ihnen ausdehnen. Der Be-

trachter muß im Innern wie in einem Tempel bei sich selbst ruhig

und über alles erhaben in sich bleiben und so betrachten, daß keine

Veränderung geschehe.“

2

„Diese Hervorbringung ist nicht eine

Bewegung, Tätigkeit“, sie ist, so können wir es ausdrücken, ein Bei-

sich-selbst-Bleiben. Es ist, wie bei Aristoteles, die Selbstanschau-

ung, die im Bei-sich-selbst-Bleiben doch zugleich das andere hervor-

bringt, schafft. Im Nus ist aber noch keine Veränderung. Seele und

Materie / kommen erst dadurch zur Wirklichkeit, daß die im Nus

noch vollkommen als Einheit beschlossenen Unterschiede im

Ü b e r g e h e n v o n e i n e m z u m a n d e r n gesetzt werden.

Aus der Stellung der Seele in der Welt ergibt sich das Wesen der

Liebe. Schon bei Platon heißt es im „Timaios“, daß der Weltbau-

meister die menschliche Seele „aus demselben Mischkruge“ wie die

1

Plotins Schriften gab sein Schüler P o r p h y r i o s in 6 „Enneaden“, das

ist Neuner, heraus. — Plotin: Enneaden, übersetzt von Richard Harder, Leipzig

1930—37 (

=

Philosophische Bibliothek, Bd 211 a); Enneaden, in Auswahl über-

setzt und eingeleitet von Otto Kiefer, Jena 1905.

2

Plotin: Enneaden, V, 1, 6.