Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6057 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6057 / 9133 Next Page
Page Background

[332/333]

373

Weltseele geschaffen habe. Das ist ein Sinnbild dafür, daß die Sym-

pathie aller Wesen aus ihrer Einerleiheit (Dasselbigkeit) komme.

Alle Seelen stammen auch nach Plotin aus gleicher Wesenheit. —

Der gleichen Liebes- und Ideenlehre wie bei Platon entspricht bei

Plotin ferner auch eine ähnliche A u f s t i e g l e h r e .

Wer das Schöne an sich schauen will, sagt Plotin, „gehe und kehre ein in sein

Inneres..., aber er lasse draußen, was der Blick des Auges erschaut und sehe nicht

mehr um nach dem, was ihm vormals als Glanz schöner Körperlichkeit erschien.

Denn wenn man die Körperschönheit erblickt, muß man nicht in ihr aufgehen

wollen, sondern im Bewußtsein, daß sie nur Bilder, Spuren, Schatten zeigt, zu dem

fliehen, dessen Bild sie ist. Denn wer sich auf sie stürzte, um sie als etwas Wahr-

haftes zu umfangen, würde ein ähnliches Schicksal erleiden wie Narzissus, der das

Spiegelbild seiner schönen Gestalt in den schaukelnden Wellen umfassen wollte,

in die Tiefe der Flut versank und nicht mehr gesehen ward . . . “ „Auf, laßt uns

fliehen in unser liebes Vaterland, wollen wir uns lieber zurufen ... Aber wie geht

unsere Fahrt und Flucht vor sich... die leiblichen Augen muß man schließen und

das innere Auge dafür auftun.“ Zuerst muß man „auf eine schöne Lebensweise

blicken, dann auf schöne Werke; aber nicht Werke der Kunst, sondern Werke,

wie sie von guten Männern vollbracht werden, dann auf deren Seele selbst, die

gute Werke vollbringen.“

1

Auf der Wesensverwandtschaft der Seele mit den Ideen beruht

auch die E r k e n n t n i s l e h r e Plotins. „Wer sehen will, muß

ein Auge besitzen, das dem zu sehenden Gegenstande verwandt und

ähnlich ist; nie hätte das Auge die Sonne gesehen, wenn es nicht sel-

ber sonnenhaft wäre; so kann auch die Seele das Schöne nicht se-

hen, wenn sie nicht selber schön ist.“

2

Diesen Gedanken der Einer-

leiheit von Gegenstand und Subjekt (welcher ja auch der Identitäts-

philosophie Schellings und Hegels zugrunde liegt), sprach bekannt-

lich Goethe in den Zahmen Xenien nach: /

„Wär nicht das Auge sonnenhaft,

Die Sonne könnt’ es nicht erblicken,

Lebt’ nicht in uns des Gottes eigene Kraft,

Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?“

Ideenlehre, Aufstieglehre, Erkenntnislehre und Kunstlehre bilden

eine Einheit. Sie stimmen übrigens überall mit den Platonischen

Grundgedanken zusammen. Der Satz „Gleiches wird durch Gleiches

1

Plotin: Enneaden, VI,

8,

deutsch von Otto Kiefer, Bd

2,

Jena 1905

,

S.

237 f.

2

Plotin: Enneaden, deutsch von Otto Kiefer, Bd 2, Jena 1905, S. 237 f. —

Vgl. dazu Platon: Staat, 508. — Die altindische Bhagavadgita, XI, 8: „Aber du

wirst mich nicht mit diesem deinem eigenen Auge sehen können, ich gebe dir ein

himmlisches Auge, mit dem sollst du meine göttliche Gestaltungsmacht sehen.“