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Meister Eckehart fährt fort:

2. „Dô got würket in der sêle, dô minnet er sîn werc. Daz werc

ist diu minne unde diu minne ist got. Got minnet sich selben unde

sîn nâtûre, sîn wesen unde sîn gotheit. In der minne, da sich got

minnet, dâ inne minnet er alle crêatûren. Mit der minne, da sich

got minnet, dâ mite minnet er alle crêatûren, niht als crêatûren,

mer: crêatûren als got. In der minne, da sich got inne minnet,

da inne minnet er alliu dinc.

Nû wil ich sprechen daz ich nie gesprach. Got smacket ime selber.

In dem smacke, da sich got inne smacket, dâ inne smacket er alle

crêatûren. Mit dem smacke, da sich got smacket, mit dem smacket

er alle crêatûren, niht als crêatûren, mêr: crêatûren als got. In

dem smacke, da sich got inne smacket, in dem smacket er alliu

dinc.“

1

/

Erläuterung. Das Leben der Welt ist die Selbstliebe Gottes. Ohne

die Liebe, in der Gott sich selber liebt, gäbe es keine Lust zum Le-

ben. Hierin liegt die größte Weltbejahung — aber auf dem Grunde

des Strebens zu Gott, des Zuges der Kreatur zu Gott. Dieser Zug ist

aber Sammlung der Seele in sich selber. D a r u m i s t A s k e s e

u n d W e l t b e j a h u n g v e r e i n b a r . Askese ist Weltüber-

höhung, nicht Weltverneinung.

Im Begriffe der Seele als des Ebenbildes Gottes und im Begriffe

der Schöpfung liegt ein Gedanke, den wir auch so fassen können:

Gott schafft nur sich selbst; und das, indem er die Seele schafft. (Die

Schöpfung der äußeren Welt ist daneben kein Werk, keine Schöp-

fung in dem Sinne, daß Gott sich selber gäbe.) Indem Gott in der

Schöpfung sich selbst schafft, liebt er auch in ihr sich selbst. Gott

minnt sich selber, schmeckt sich selber in der Seele und in den Krea-

turen, soweit nämlich auch diese eine Innerlichkeit, einen Seelen-

punkt haben. Anderwärts sagt Eckehart: G o t t i s t d e m S t e i n

s o n a h e w i e d e r S e e l e , a b e r d e r S t e i n w e i ß e s

n i c h t

2

— indem er seinen göttlichen Seinsgrund nicht in sich

zum Bewußtsein erheben kann, ist er nur ein „Fußstapfen“ Gottes,

1

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 179,

Zeile 36 bis S. 180, Zeile 11.

2

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 221,

Zeile 10.