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Gottes in den Kreaturen eine Weltbejahung enthält. Wo der Welt-

lauf mit All-Liebe durchmischt ist, hat Weltfeindlichkeit und Pes-

simismus keinen Platz. Daher denn auch Meister Eckehart an ande-

rer Stelle sagt: „Gott ist kein Zerstörer der Natur, sondern er voll-

bringet sie.“

1

Endlich liegt in diesem Sichselbst-Lieben Gottes in den Kreaturen

das, was man auch die Gegenseitigkeit von Schöpfer und Geschöpf

nennen kann. Wir kommen unten bei der Unterscheidung von Gott-

heit (Gott an sich) und Gott als Schöpfer sowie beim „innersten

Menschen“ noch darauf zurück

2

.

3.

„Nû merkent. Alle crêatûre hânt iren louf ûf îr hôheste volle-

komenheit.“

3

Erläuterung. Dieser Satz, dessen nähere Ausführung offenbar aus-

gefallen ist, spricht von dem Zug der K r e a t u r z u G o t t . Er

findet schon in dem vorherigen Gedanken, der Selbstliebe Gottes im

Leben der Kreaturen seine Begründung. Es ist derselbe Gedanke, der

sich schon bei Platon, Aristoteles, Plotin findet

4

. Derselbe, der

dann bei Augustinus seinen Ausdruck fand in dem berühmten Wort:

„Du h a s t u n s z u D i r g e s c h a f f e n u n d u n r u h i g

i s t u n s e r He r z , b i s e s R u h e f i n d e t i n / D i r.“

5

Meister Eckehart erläutert später seinen Satz selbst, indem er sagt:

Alle Kreaturen ziehen sich von ihrem Äußeren auf ihr Inneres

zurück („verzîhent sich irs lebens ûf ir wesen“

6

). Auch dieser

Satz ist im Sinne der Versenkung zu deuten: Rückgang in sich

selbst, Versenkung, führt sie näher zu Gott heran.

1

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 18,

Zeile 3.

2

Siehe unten S. 381 f.

3

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 180,

Zeile 12 f.

4

Nach P l a t o n ist die Idee, das seiende Sein, V o r b i l d der sinnlichen

Dinge. Alles Geschaffene strebt nach seiner Idee, das menschliche Leben ist ein

S u c h e n nach dem, wo die Seele heimisch ist, nach dem, was gut ist. (Lysis,

221 e; Staat, 586). — Nach A r i s t o t e l e s ist die Idee (Form) der Zweck und

das Ende aller Bewegung (Physik, II, 1). Es wird alle Bewegung des Niederen durch

das Höchste, den unbewegten Beweger, Gott, begründet (Metaphysik, VII, 6), so

daß ein Zug des S e h n e n s das sinnliche Werden mit der übersinnlichen

Form verbindet.

5

Augustinus: Bekenntnisse, Anfang.

6

Siehe unten S. 382.