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Der Durchbruch in Gott hinein (den ich hier als den Durchbruch
durch die Seelenkräfte zum Fünklein verstehe) ist viel edler denn
der Ausfluß (die Ausgliederung der Seelenkräfte). Aber Eckehart
fügt hinzu: „bilde ich da niht“ (wenn ich nicht bilde), was soviel
heißt wie: habe ich da die Bilder abgeworfen, dann komme ich in
die reinste Einheit. — Die Bhagavadgita sagt: „Das Unoffenbare als
Anfang haben die Wesen, das Offenbare als Mitte und das Unof-
fenbare als Ende . . . “ (II, 28); das Unoffenbare ist die Ureinheit.
„Ich allein bringe alle Kreaturen aus ihrer Vernunft in meine.“
Die Bedeutung des Menschen in der Weltordnung ist, das wesent-
liche Mittel für die höchsten Zwecke Gottes zu sein. Darum ist es
aller Dinge Streben, in der menschlichen Natur aktuiert zu werden,
welche der Anlage nach die Gesamtheit aller Kreaturen ist. „Wenn
man vom Menschen redet“, sagt Meister Eckehart an anderer Stelle,
„redet man von allen Kreaturen.“
1
„Im Menschen enden alle Krea-
turen und in ihm werden gesammelt alle mannigfaltigen Dinge in
eine Einheit.“
2
/ — Diese Lehre ist Gemeingut alles Idealismus
und aller Mystik. Angelus Silesius:
„Der Mensch ist alle Ding. Ist’s, daß ihm eins gebricht,
So kennet er fürwahr sein’ Reichtum selber nicht.“
Ebenso Aristoteles: „Der Mensch ist gleichsam alle Dinge“
3
, und
Platon: die Seele ist der Inbegriff aller Ideen
4
. Dasselbe bei Fichte,
Schelling, Hegel
5
. Diese Lehre von der zentralen Weltstellung des
Menschen ist die Grundlage der Wiederbringung. Kraft ihrer soll
der Mensch alle Dinge emportragen zu Gott, ihrem ersten Ur-
sprunge
6
. Angelus Silesius sagt kühn:
„Das Wort, das dich und mich und alle Dinge trägt,
Wird wiederum von mir getragen und gehegt.“
„Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein:
Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.“
1
Meister Eckhart, S. 273, Zeile 10.
2
Meister Eckhart, S. 522, Zeile 10.
3
Siehe oben S. 247.
4
Sofern sie diese geschaut hat und sich ihrer erinnert, siehe oben S. 204 f. und
öfter.
5
Siehe oben S. 336.
6
Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 459,
Zeile 6 und öfter.