[18/19]
21
vor dem Teile“, der nun kein für sich seiender Teil, sondern
g l i e d h a f t e r Teil ist. Denn nur wenn das Ganze vor dem
Gliede ist, nur dann erschöpft es sich nicht in den Gliedern und er-
scheint demgemäß selbst nicht als solches (als bestimmtes Glied),
sondern bleibt am Grunde — als Ausgliederndes, aber nicht Aus-
gegliedertes. Also muß es ein An-sich des subjektiven Geistes
geben, einen Geistesgrund, den lauteren Geist — das Unoffenbare.
Am Beginne der Geisteslehre ist aus dem Begriffe der Ganzheit
heraus und des ganzheitlichen Verfahrens der Begriff des unoffen-
baren Geistesgrundes eindeutig vorgezeichnet.
Das gleiche ergibt sich aus dem Begriffe der Selbstsetzung und aus dem der
Einheit des Bewußtseins.
Der S e l b s t s e t z u n g s b e g r i f f Fichtes führt zu einem unverbraucht
Setzenden, Unoffenbaren. Denn indem das Ich sich selbst setzt oder, wie Platon
und Aristoteles sagten, die Seele sich selbst bewegt, kann sich das Bewegende
nur im Bewegten, das Setzende nur in der Setzung offenbaren, es kann nicht als
solches selbst erscheinen. Erschiene es als solches (als Gesetztes), dann wäre das
Setzen zu Ende, es bliebe nichts mehr zurück, was weiter sich selbst zu setzen
vermöchte, das Formende hätte sich verformt, das Setzende sich ausgegeben
1
.
Endlich folgt der Begriff des unoffenbaren Geistgrundes auch notwendig
aus dem so vielbesprochenen Begriffe der „ E i n h e i t d e s B e w u ß t s e i n s“.
Denn was stellt man sich denn eigentlich unter einer solchen / „Einheit“ vor?
Wäre sie nur eine nachträgliche Zusammenfassung der Elemente, dann wäre sie
keine Einheit, sondern bliebe ewig eine bloße Vielheit, eine summative Bil-
dung. Soll es wahre Einheit geben, dann muß sie als ausgliedernde Ganzheit
gedacht werden. In der ausgliedernden Ganzheit ist aber nur das die Einheit
setzend und verbürgend, was die Ganzheit an sich selbst ist, die zwar in allen
Gliedern sich darstellt, jedoch als s o l c h e sich nicht darstellt.
Dasselbe sagen uns von der E r l e b n i s s e i t e her die höch-
sten mystischen Philosophien. Die Lehre vom „Fünklein“, welche
Meister Eckehart entwickelt, verkündet nichts anderes als den un-
offenbaren Geistesgrund. Sie beruft sich allerdings auf erhöhte
Seelenzustände, die dem gewöhnlichen Bewußtsein unerschwinglich
sind. Aber darum, weil es sich um Außerordentliches handelt, müs-
sen wir es weder mit phantastischen noch unwahren Zuständen zu
tun haben, wie die materialistischen Psychologen glauben. Daß der
Geistesgrund „Fünklein“ genannt wird, liegt an den Lichterleb-
nissen der Mystiker.
Sieht man genauer zu, so findet man denn auch den Geistes-
grund in allen Geisteslehren der hohen Philosophien wieder. Pla-
1
Siehe unten S. 39 und 148 ff.