[20/21]
23
Grunde sind auch begriffliche Unterscheidungen und zergliedernde
Untersuchungen, wie sie auf den anderen Stufen des Geistes sich
ergeben, hier nicht möglich.
I.
Die zweite Ausgliederungsstufe des Geistes:
das übersinnliche Bewußtsein
Gott wird durch Gott erkannt in der Seele:
(Meister Eckehart)
A.
Das W e s e n d e s ü b e r s i n n l i c h e n B e w u ß t s e i n s
Rein genetisch gesehen, ist das erste, was an geistigen Erscheinun-
gen offenbar wird, nicht der Glaube (auch nicht die / Sinnes-
empfindung, wie der Sensualismus annimmt), sondern die Gezwei-
ung. Dem Wesen nach aber hat, wie sich zeigen wird, das übersinn-
liche Bewußtsein den Vorrang und muß darum zuerst behandelt
werden.
Vom Standpunkte der Geisteslehre aus lautet unsere Grundfrage:
Wie ist zuerst die Vorstellung des Göttlichen in das menschliche
Bewußtsein gekommen? Bekanntlich gibt es darüber verschiedene
Ansichten der empiristischen „Religionssoziologie“ und „Religions-
psychologie“. Sie treffen sich aber alle zuletzt darin, daß das mensch-
liche Bewußtsein ursprünglich gottlos sei. Nach der einen Ansicht
soll die Furcht das Entscheidende gewesen sein, indem sie den Men-
schen zur Annahme höherer Mächte, z. B. hinter Blitz und Donner,
führt; nach der anderen die Traumerfahrung, nach wieder anderen
ein Trieb nach Erlösung, das Wunschbild einer schöneren Welt —
kurz, eine „Vermenschlichung“ des Weltgeschehens, ein „Anthropo-
morphismus“ läge allem Religiösen zugrunde. Diese Erklärungen
laufen aber alle zuletzt auf Rationalismus hinaus, darauf nämlich,
daß der Geist zur Gottheit durch einen Vernunftschluß gelange
(gleichviel ob der Schluß richtig oder unrichtig sei). Müsse aber auf
Gott erst geschlossen, das Gottesbewußtsein erst abgeleitet werden,
dann sei das menschliche Bewußtsein, wie bemerkt, ursprünglich
gottleer.
Gerade diesem Grundgedanken aber ist zu widersprechen.
Das eine ist allerdings richtig: Wenn der Geist auf das Dasein
Gottes überhaupt kommt, dann kann das nicht durch gegenständ-