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Gott vereint als Leib und Seele.“ „In allen Kreaturen ist etwas von
Gott, aber erst in der Seele ist Gott göttlich
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.“ — Das mystische
Erlebnis läßt die späteren Vermittlungen verhältnismäßig am mei-
sten hinter sich, erhebt sich daher am meisten über bestimmte Reli-
gionsformen; wie denn auch die mystischen Strömungen in den ver-
schiedenen Religionen am meisten übereinstimmen.
b.
P o l y t h e i s m u s — M o n o t h e i s m u s
Wird im Innewerden des Enthaltenseins in einem Höheren dieses
Höhere nicht als Allgemeinstes schlechthin gefaßt (nicht mystisch
erlebt), sondern als b e s t i m m t e befassende Ganzheit des Alls,
das heißt als bestimmte Naturmacht (also m a g i s c h ) , dann wird
dadurch eine solche Art von Konkretisierung des übersinnlichen Be-
wußtseins erreicht, welche in der Personifizierung der befassenden
Naturmächte besteht — der Polytheismus. Nach der Seite der Ge-
meinschaft mit den personifizierten Stufen hin, den Göttern, / führt
diese Konkretisierung zum sittlichen Polytheismus (einzelne Göt-
ter als sittliche Mächte, z. B. Athene, Freia); nach der Seite des
Erlebnisses bestimmter Naturmächte hin führt sie mehr zum künst-
lerischen Polytheismus (Homer, Edda). Der sittliche und der natur-
haft-künstlerische Polytheismus bestehen immer zusammen.
Der Polytheismus ist nicht ohne grundsätzlichen Wahrheits-
gehalt, ein Satz, der heute allerdings ungewohnt klingt. Aber jene
höheren Mächte, denen er sich verschreibt, bestehen auf irgendeine
Weise wirklich, seien es die chthonischen, seien es die dionysischen
Mächte und Schichten des Alls. Sein grundsätzlicher Mangel liegt
jedoch darin, daß er die Hinweise auf die letzte Ganzheit, den
höchsten und einzigen Gott, vernachlässigt und daher an den
mittleren Mächten hängenbleibt (man denke nur an die Bacchan-
ten), statt sich dem Höchsten zuzuwenden. Infolge dieser Verbun-
denheit mit den lebendigen Naturmächten ist Polytheismus überall
mit Zauber (Magie, der außergewöhnlichen Beeinflussung dieser
Mächte) verbunden. Ist auch der Polytheismus nicht schlechthin
falsch (was ja auch durch die verhältnismäßige Wahrheit der Magie
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Meister Eckhart, hrsg. v. Franz Pfeiffer, Leipzig 1857 (seither Neudrucke),
S. 230, Zeile 37.