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Gebet und Gottesdienst, verkümmern, ähnlich wie auch das Denken
zur Gedankenlosigkeit verkümmern kann, aber gegen das Wesen
der Sache. Der Kern des Gebetes ist A n d a c h t , jene Sammlung
des Geistes auf das höchste Befassende, welche seinen Bewußtseins-
inhalten übersinnliche Beschaffenheit verleiht. Zur wesensgemäßen
Form des Gebetes gehört der Verkehr des Geistes mit Gott nicht
nur in einem abstrakten Sinne, sondern / auch mit Gott als einem
nach persönlicher (überpersönlicher) Art aufgefaßten Wesen. Das
atheistische Gebet allerdings, das sich an eine unpersönliche Natur-
oder Weltmacht wendet, erreicht diese Wesensvollkommenheit
nicht, es bleibt, wenn versucht, ein Widerspruch in sich. — Der
Überhöhung des Gebetes durch mystische A b g e s c h i e d e n -
h e i t kann hier nicht weiter gedacht werden
1
.
Z e r r i s s e n h e i t u n d A n g s t ist in dem Sinne das Gegen-
teil von Andacht, als für die Andacht Sammlung unentbehrlich
erscheint. Aber dennoch, Angst des Herzens öffnet seelische Kräfte,
öffnet die Kraft des Glaubens, der Bitte an Gott im Gebet. Indem
das geängstigte Herz in seine eigene Traurigkeit versinkt, verliert
es sich immer mehr in ein Flehen und Bitten, welches, je tiefer es
auf den Grund kommt, Andacht verlangt und damit von selber
zum Gebet wird. So bezeugt es unter anderen Mozart (Paminas
Klage verwandelt sich in Gebet
2
). So deutet es auch Mechthild von
Magdeburg an, welche sagt: „Das Gebet hat große Kraft, wenn es
ein Mensch leistet, mit aller seiner Macht. Es macht ein sauer Herze
süße; ein traurig Herze froh; ein arm Herze reich, ein dumm Herze
weise, ein blöd Herze kühn, ein krank Herze stark, ein blind Herze
sehend, eine kalte Seele brennend.“ Beethoven betet als Schaffender:
„O leite meinen Geist, o heb ihn aus dieser schweren Tiefe, durch
Deine Kunst entzückt, damit er furchtlos strebe aufwärts in feuri-
gem Schwung. Denn Du, Du weißt allein, Du kannst allein begei-
stern.“ Michelangelo betet um den Glauben: „Jene Kette reiche mir,
o Herr, die jede Himmelsgabe an sich bindet: den Glauben, sage
ich, zu dem hin es mich drängt und spornt...“ Bismarck sagte in
hohem Alter, er habe mit vierzehn Jahren das Gebet für unnütz
gehalten, „da ja Gott doch alles besser weiß als ich. Ich denke heute
1
Vgl. meine Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 184 ff.
2
Mozart: Zauberflöte, II, Nr. 17.