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h e i t . Wo Glied ist, muß auch Ganzheit sein. Das Glied ist nicht
die Ganzheit selbst, aber die Ganzheit wohnt dem Gliede ein; das
Glied ist nur dadurch, daß es Ganzheit in sich hat, in sich, nicht
äußerlich und mechanisch, sondern als Aufgabe: durch selbsttätige
Setzung des ihm verliehenen Ganzheitsgehaltes. Darin liegt aber
schon eine gewisse Einerleiheit von Glied und Ganzheit, die nun
näher zu betrachten ist.
Zu 4: Das E i n e r l e i h e i t s b e w u ß t s e i n d e r G l i e -
d e r o d e r d i e L i e b e . Wie Andacht, Glaube die reine Form
des übersinnlichen Bewußtseins ist, so Liebe die des Gezweiungs-
bewußtseins. Um diesen Punkt vollkommen klarzustellen, müs-
sen wir wieder auf die Vermittlungen der Gezweiung zurückkom-
men. Was der Andere denkt und tut, muß zwar durch sinnliche
Eindrücke vermittelt werden; aber das Innewerden dieser Geistes-
inhalte des Andern ist nach Herstellung der sinnlichen Vorbedin-
gungen eine u n m i t t e l b a r e innere Erfahrung. Was im Geiste
des Andern vorgeht, erfassen wir blitzartig oder gar nicht. Zwar
halten wir uns an äußere Anzeichen, aber dennoch „erschließen“
wir nicht (im syllogistischen, logischen Sinne), wie fälschlich be-
hauptet wird. Kein „Analogieschluß“ kann uns zur Mitfühlsamkeit
führen, wie denn auch der „erste Eindruck“, in dem doch sicher
noch nicht „geschlossen“ wird, oft der wichtigste und richtigste ist.
Auch der angebliche „Analogieschluß“ führt uns, soweit er besteht,
nur an das heran, was wir u n m i t t e l b a r als Geisteszustand
des Andern erleben, innerlich erfahren müssen.
Diese Unmittelbarkeit ist die eine, das Innewerden der Einerlei-
heit (Identität, Dasselbigkeit) mit dem Andern ist die / zweite, ihr
entsprechende Grundtatsache des Gezweiungsbewußtseins. Da die
Gezweiung mit der Gliedhaftigkeit bezeichnet ist, so liegt in ihr:
daß jedes der beiden Glieder Fleisch vom Fleische derselben Ganz-
heit sei, daß beide Wesenheit von derselben Ganzheit in sich haben
— daß beide d a s s e l b e seien. So ungewöhnlich das klingen
mag: G l i e d d e u t e t a u f G a n z h e i t ; i n G l i e d e r n
d e s s e l b e n S t a m m e s w o h n t d i e s e l b e G a n z h e i t ;
Dasselbigkeit, Einerleiheit (Identität) ist es daher, was den Glie-
dern zukommt und was ihnen im Bewußtsein ihres gemeinsamen
Enthaltenseins in derselben Gemeinschaft aufleuchtet. Ich bin auch
der Andere — das ist das verborgene Wesen der Gezweiung.