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werden des Andern über uns selbst hinausführt und so befreiend

wirkt, ist die Brücke zum anderen Menschen geschlagen — nicht

als einem Einzelnen, sondern als dem Träger eines Allgemeinen,

Höheren, aber auch zur anderen Kreatur, soweit diese in ein Ich-

Du-Verhältnis zu bringen ist; und schließlich auch zur gesamten

Natur. Menschenliebe erweitert sich dann zur kosmischen Liebe, zur

Kreaturliebe, zur Naturliebe. So geschieht es, daß Liebe in Glau-

ben übergeht.

Dieses Kosmische, Metaphysische der Liebe ist aller hohen Kunst

wohl bekannt. Bei Novalis, Mozart, Bach, Beethoven tritt die

Einheit von Liebe und Andacht besonders hervor. Man denke an

Novalis: „Wenige wissen das Geheimnis der Liebe . . G o e t h e :

„Sagt es niemand, nur den Weisen . . S c h i l l e r : „Liebe, Liebe leitet

nur — zu dem Vater der Natur — Liebe nur die Geister“. Der

Liebesgesang Mozarts in „Cosi fan tutte“, / ein zweistimmiges

Ständchen

1

, ist von so hinreißender Andacht wie der verzückte

Engelsgesang im „Benedictus“ der sogenannten Orgelsolomesse.

Aber jeder Liebesgesang Mozarts geht in Gebet über. Die Liebes-

klage der Gräfin im „Figaro“ wird von Mozart selbst in der Krö-

nungsmesse als „Agnus Dei“ verwendet

2

.

Der metaphysische Zug des Gezweiungsbewußtseins lehrt uns

abermals, daß Metaphysik keine subjektive Angelegenheit und

Eigentümlichkeit einzelner Menschen sei. Der Geist entdeckt in sei-

nem Werden durch Gezweiung in sich das Uberindividuelle mit

ontologischer Notwendigkeit und findet damit den Zug in das

Kosmisch-Metaphysische als einen Wesensbestand seines Ich vor. Es

ist ein wesensnotwendiges, ein o n t o l o g i s c h e s S a c h e r f o r -

d e r n i s , daß der Mensch in seiner grundlegenden Geistestat, der

Gezweiung, über sich selbst hinausgehe. Der Mensch verlangt von

Natur nach dem Überindividuellen und in diesem entdeckt er das

Übersinnliche. Das lehrt schon Schiller:

Aus dem Kelch des Geisterreiches

Schäumt ihm die Unendlichkeit.

1

Mozart: Cosi fan tutte, II, Nr. 21.

2

Weitere Nachweise über die Einheit von Glauben und Liebe bei Mozart

in meinem Aufsatze: Mozarts Größe, in: Kämpfende Wissenschaft, Gesammelte

Abhandlungen, Jena 1934, S. 236 ff.