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„Ich bin auch der Andere“, klingt ihnen wie ein Märchen aus fernen

Zeiten. Fouqué stellte in seiner „Undine“ das allmähliche Zer-

brechen der Eisdecke, in die das Selbst gelegt ist, dar und zeigte, wie

mit fortschreitender Gezweiung die Innigkeit erwacht und das

Gemüt sich bildet. Was Fouqué in der Undine geschehen läßt,

geschieht jedem Menschen. Ihre Geschichte ist das Spiegelbild der

inneren Geschichte des Geistes.

Weil nur das Erlebnis der Einerleiheit mit dem Andern die

Ichheit über sich hinausführen kann, ist die S e l b s t e r w e k -

k u n g z u r G e z w e i u n g als oberste Aufgabe jedem Menschen

unaufhörlich gestellt. Nur das übersinnliche Bewußtsein führt noch

darüber hinaus, wie aus dem Früheren erkenntlich

1

.

Fouqué zeigte auch, wie der Weg des Menschen zur Gezweiung

oft nur durch die schwersten Erschütterungen hindurchgeht. Das

macht, daß alle diejenigen Menschen, die nicht von Natur ein mit-

fühlsames, aufgeschlossenes Herz mitbringen, in ihrer Ichheit so eng

eingeschlossen sind, daß sie die elementarste Selbstsucht nicht zu

überwinden, ja nicht einmal zu erkennen vermögen. Wenn irgend-

wo, dann zeigt sich hier die F r u c h t b a r k e i t d e s S c h m e r -

z e s . Verlust, Enttäuschung, Bruch leiten uns auf Vertiefung im

Gezweiungsleben hin, leiten uns auf uns selbst, aber nicht in unserer

Vereinzelung, sondern in unserer Verbundenheit zurück auf die

darin zu erbildenden und in zerbrochenen Gezweiungen verlorenen

Reichtümer der Seele. „Jeder Schmerz ist eine Erinnerung unseres

hohen Ranges“, sagt Novalis in seinen Fragmenten.

Ist die Erweckung zur Gezweiung begonnen, dann ist aber damit

das Gezweiungsbewußtsein noch nicht schon voll entwickelt. Dazu

bedarf es der Ergreifung, der A n n a h m e (acceptatio) der inneren

Erregungen, die sich darbieten (über die Annahme wird in späteren

Zusammenhängen mehr zu sagen sein); und es bedarf weiterhin der

V e r a r b e i t u n g des Inne- / gewordenen, in sich Angenomme-

nen, Erbildeten in den Zusammenhang aller anderen Bewußtseins-

inhalte: des Glaubens, Wissens, Gestaltens, Handelns, sinnlichen

Lebens. Diese Verarbeitung, welche übrigens auf Stetigkeit, Fest-

halten des inneren Gemütserlebnisses der Gezweiung beruht, ge-

1

Siehe oben S. 23 ff.