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43

B.

G e m ü t o d e r H e r z e n s f ü l l e

Wir hoben das Unmittelbare in der inneren Erfahrung der Ge-

zweiung hervor. Die sensualistische und die sonstige ihr verschwi-

sterte Seelenlehre muß dem widersprechen, sofern sie nur Sinnes-

eindrücke oder auch „Gestalten“, „Akte“, Gefüge“, kurz, Ich-Erfah-

rungen als Ursprüngliches kennt. Daher erklärt sie folgerichtig, wie

schon berührt, daß wir das Du nur „erschließen“ könnten. Mit dem

Hinweise auf die notwendigen sinnlichen Vermittlungen ist aber

noch nicht bewiesen, daß das, was sie vermitteln, nicht in sich selbst

unmittelbar erfahren werden müsse. / Wollte man bei der Tat-

sache, daß Vermittlungen nötig sind, stehenbleiben, dann könnte

es überhaupt nichts Unmittelbares geben, dann müßte alles erst

erschlossen werden können. Wer aber in der Seelenlehre alles bewei-

sen und damit das Unmittelbare der inneren Erfahrung ausschließen

wollte, könnte überhaupt keine Seelenlehre treiben.

Dieses Unmittelbare nun ist es, welches im Gezweiungsbewußt-

sein, am meisten in seiner Hauptform, der Liebe, die deutsche

Sprache so tiefsinnig als I n n i g k e i t bezeichnet.

Und hier stoßen wir nochmals von anderer Seite auf die grund-

legende Bedeutung des Gezweiungsbewußtseins. Im G e z w e i -

u n g s b e w u ß t s e i n a l l e i n t r i t t I n n i g k e i t a u f . In

ihm allein wird Innigkeit erfahren. (Die Innigkeit des Glaubens

ist von höherer Ordnung, aber in sich selbst nicht konkretisierbar.)

Die überkommene Seelenlehre spricht hier von „Gefühlen“. Was

sind aber Gefühle, wo ist ihr Herd? Sie müßte den Herd der Ge-

fühle zeigen, kann ihn indessen mit ihren Begriffsmitteln nicht

entdecken. Denn der sensualistische Versuch, die Gefühle von den

„Lust- und Unlustbetonungen“ der Sinnesempfindungen abzuleiten,

wird heute nicht mehr ernst genommen, aber auch das Gefühl als

„unbestimmte Komplexqualität“ hält nicht stand

1

. Wir behaupten,

daß es „Gefühl“ in jenem allgemeinen, verwaschenen Sinne der

Seelenlehre nicht gibt. Darum gibt es auch keine „Psychologie des

Gefühls“. Es gibt aber Innigkeit des Geistes und sie hat im Ge-

zweiungsleben ihren Ursprung.

Der Inbegriff von Innigkeit ist das G e m ü t . Im Gezweiungs-

leben allein ist der Herd des Gemütes. Nicht im Wissen, nicht ein-

1

Vgl. unten S. 56.