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B.
G e m ü t o d e r H e r z e n s f ü l l e
Wir hoben das Unmittelbare in der inneren Erfahrung der Ge-
zweiung hervor. Die sensualistische und die sonstige ihr verschwi-
sterte Seelenlehre muß dem widersprechen, sofern sie nur Sinnes-
eindrücke oder auch „Gestalten“, „Akte“, Gefüge“, kurz, Ich-Erfah-
rungen als Ursprüngliches kennt. Daher erklärt sie folgerichtig, wie
schon berührt, daß wir das Du nur „erschließen“ könnten. Mit dem
Hinweise auf die notwendigen sinnlichen Vermittlungen ist aber
noch nicht bewiesen, daß das, was sie vermitteln, nicht in sich selbst
unmittelbar erfahren werden müsse. / Wollte man bei der Tat-
sache, daß Vermittlungen nötig sind, stehenbleiben, dann könnte
es überhaupt nichts Unmittelbares geben, dann müßte alles erst
erschlossen werden können. Wer aber in der Seelenlehre alles bewei-
sen und damit das Unmittelbare der inneren Erfahrung ausschließen
wollte, könnte überhaupt keine Seelenlehre treiben.
Dieses Unmittelbare nun ist es, welches im Gezweiungsbewußt-
sein, am meisten in seiner Hauptform, der Liebe, die deutsche
Sprache so tiefsinnig als I n n i g k e i t bezeichnet.
Und hier stoßen wir nochmals von anderer Seite auf die grund-
legende Bedeutung des Gezweiungsbewußtseins. Im G e z w e i -
u n g s b e w u ß t s e i n a l l e i n t r i t t I n n i g k e i t a u f . In
ihm allein wird Innigkeit erfahren. (Die Innigkeit des Glaubens
ist von höherer Ordnung, aber in sich selbst nicht konkretisierbar.)
Die überkommene Seelenlehre spricht hier von „Gefühlen“. Was
sind aber Gefühle, wo ist ihr Herd? Sie müßte den Herd der Ge-
fühle zeigen, kann ihn indessen mit ihren Begriffsmitteln nicht
entdecken. Denn der sensualistische Versuch, die Gefühle von den
„Lust- und Unlustbetonungen“ der Sinnesempfindungen abzuleiten,
wird heute nicht mehr ernst genommen, aber auch das Gefühl als
„unbestimmte Komplexqualität“ hält nicht stand
1
. Wir behaupten,
daß es „Gefühl“ in jenem allgemeinen, verwaschenen Sinne der
Seelenlehre nicht gibt. Darum gibt es auch keine „Psychologie des
Gefühls“. Es gibt aber Innigkeit des Geistes und sie hat im Ge-
zweiungsleben ihren Ursprung.
Der Inbegriff von Innigkeit ist das G e m ü t . Im Gezweiungs-
leben allein ist der Herd des Gemütes. Nicht im Wissen, nicht ein-
1
Vgl. unten S. 56.