Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6202 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6202 / 9133 Next Page
Page Background

48

[49/50]

besitzt

1

. Die Wertentlehnung begründet eine Scheingezweiung,

jedoch gehört sie, wie auch die L ü g e , zugleich dem erkennenden,

ferner dem wollenden und handelnden Bewußtsein an

2

. — Der

Eitelkeit im weiteren Sinne gehört auch die Erscheinung an, sich

durch Nichtbeachtetwerden, Nichtteilnahme gereizt und h e r a u s -

g e f o r d e r t zu fühlen oder, umgekehrt, durch Nichtbeachten her-

ausfordern zu wollen. Diesen Fall hat Goethe im Auge, wenn er

sagt: „Doch wem gar nichts dran gelegen scheinet — ob er reizt

und rührt — der beleidigt, der verführt.“

Innerhalb der oben

3

genannten Reihe von der Eitelkeit bis

zur Streberei und ähnlichem liegen noch manche Zwischenformen,

die wir hier nicht alle berühren können, aus denen aber doch noch

R a c h e u n d G r o l l (Ressentiment), ferner besonders der

N e i d herausgehoben werden müssen. Der „böswillige Idiot“,

der „tückische Zwerg“, der „rachsüchtige Krüppel“ sind mit Recht

Stichworte der Sprache und ständige Gestalten der Dichter. Shake-

speare läßt den buckligen Richard III. mit den Worten sich vor-

stellen:

Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät...

Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt...

Bin nun gewillt, ein Bösewicht zu werden.

/

Die Grundlage von Rache, Groll und ähnlichen Mißformen des

Gezweiungsbewußtseins bildet, das lehrt die nähere Betrachtung,

der N e i d . Das gewöhnliche Fehlen der Gezweiung erzeugt nur

Fremdheit, Kälte, innere Armut. Aber der Neid ist eine t ä t i g e

V e r n e i n u n g d e r G e z w e i u n g , also zugleich Mißgunst,

Haß (aber Haß nicht aus Ablehnung der Werte, die ein anderer

erstrebt, sondern aus Ablehnung gerade der wertvollen Gezweiung).

Neid ist dann vorhanden, wenn allein schon der Besitz, den ein

anderer hat, Regungen der Mißgunst auslöst. Nicht daß der Andere

als Grund für das eigene Nicht-Haben angesehen wird, bringt Neid

mit sich (denn dann wäre tätige Gegenwirkung oder stille Be-

schuldigung die Folge), sondern allein schon der Umstand, daß er

1

Näheres darüber in meiner Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930,

S. 455 ff.

2

Vgl. darüber unten S. 84 und 108.

3

Siehe oben S. 47.