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besitzt
1
. Die Wertentlehnung begründet eine Scheingezweiung,
jedoch gehört sie, wie auch die L ü g e , zugleich dem erkennenden,
ferner dem wollenden und handelnden Bewußtsein an
2
. — Der
Eitelkeit im weiteren Sinne gehört auch die Erscheinung an, sich
durch Nichtbeachtetwerden, Nichtteilnahme gereizt und h e r a u s -
g e f o r d e r t zu fühlen oder, umgekehrt, durch Nichtbeachten her-
ausfordern zu wollen. Diesen Fall hat Goethe im Auge, wenn er
sagt: „Doch wem gar nichts dran gelegen scheinet — ob er reizt
und rührt — der beleidigt, der verführt.“
Innerhalb der oben
3
genannten Reihe von der Eitelkeit bis
zur Streberei und ähnlichem liegen noch manche Zwischenformen,
die wir hier nicht alle berühren können, aus denen aber doch noch
R a c h e u n d G r o l l (Ressentiment), ferner besonders der
N e i d herausgehoben werden müssen. Der „böswillige Idiot“,
der „tückische Zwerg“, der „rachsüchtige Krüppel“ sind mit Recht
Stichworte der Sprache und ständige Gestalten der Dichter. Shake-
speare läßt den buckligen Richard III. mit den Worten sich vor-
stellen:
Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät...
Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt...
Bin nun gewillt, ein Bösewicht zu werden.
/
Die Grundlage von Rache, Groll und ähnlichen Mißformen des
Gezweiungsbewußtseins bildet, das lehrt die nähere Betrachtung,
der N e i d . Das gewöhnliche Fehlen der Gezweiung erzeugt nur
Fremdheit, Kälte, innere Armut. Aber der Neid ist eine t ä t i g e
V e r n e i n u n g d e r G e z w e i u n g , also zugleich Mißgunst,
Haß (aber Haß nicht aus Ablehnung der Werte, die ein anderer
erstrebt, sondern aus Ablehnung gerade der wertvollen Gezweiung).
Neid ist dann vorhanden, wenn allein schon der Besitz, den ein
anderer hat, Regungen der Mißgunst auslöst. Nicht daß der Andere
als Grund für das eigene Nicht-Haben angesehen wird, bringt Neid
mit sich (denn dann wäre tätige Gegenwirkung oder stille Be-
schuldigung die Folge), sondern allein schon der Umstand, daß er
1
Näheres darüber in meiner Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930,
S. 455 ff.
2
Vgl. darüber unten S. 84 und 108.
3
Siehe oben S. 47.