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anderes besitzt als der Neider. Dieser Besitz allein — sei es Geld
und Gut, Ansehen, hohe Stellung, Herrscherrecht, Begabung, Lie-
besgunst anderer Menschen — genügt, um das Gemeinschaftsgefühl
zu verweigern und im Gegenteile den Anderen anzufeinden. Be-
zeichnend für das Wesen des Neides ist das geflügelte Wort vom
„Neid der besitzlosen Klasse“. Das Nichthaben und weiterhin die
U n f ä h i g k e i t z u h a b e n gehört zum Neide. Denn in dem
Augenblicke, wo das Haben des Andern zum Ansporne für das
eigene Können werden würde, wäre nicht mehr Neid, sondern schon
Wetteifer vorhanden. Nicht umsonst spricht man dann, wenn
die unedleren Regungen von Neid und Groll in eigene Anstren-
gungen umgewandelt und für das eigene Geistesleben fruchtbar
gemacht werden, von „edlem Wetteifer“.
Am fürchterlichsten wütet der Neid gegen geistige Vorzüge.
Das mußten alle großen Männer der Geschichte am eigenen Leibe
verspüren. Was gibt es Herrlicheres, als dem großen Genius zu hul-
digen? Aber die ganze Selbstzerfleischung des menschlichen Ge-
schlechtes zeigt sich daran, daß es sich dieser Herrlichkeit entschlägt
und auch den Fortgang des Großen und Guten in der Weltarbeit
hindert, indem es dem Schöpfergeist, / an dem alles hängt, ent-
gegenwirkt und ihn klein zu machen trachtet. Sehr milde drückte
dies der gütige Hölderlin aus:
Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden,
Beides verdammen sie dir, zeigst du beides zugleich.
Auf Nicht-Entbehren-Wollen, also Eigensucht, beruht auch Üp-
p i g k e i t u n d V e r s c h w e n d u n g , die nicht bedenkt, daß
nur Einfachheit der Lebensführung dem Andern nichts entzieht.
Auf innerer Unbeständigkeit in der Gezweiung, also mittelbar
ebenfalls auf Selbstsucht, beruhen U n t r e u e u n d U n d a n k -
b a r k e i t („Dank“ kommt von denken, gedenken).
Die Enttäuschung am Menschen, welche durch diese und andere
Mißgestaltungen der Gezweiung erlitten wird, kann zur M e n -
s c h e n v e r a c h t u n g , j a z u m M e n s c h e n h a s s e führen,
welcher die Gezweiung vollends zerstört, wofür Shakespeares „Ti-
mon von Athen“ ein Beispiel bietet. Auch in Timons Menschen-
hasse liegt noch ein Kern von Selbstsucht: der Wahn, aller Gemein-
schaft entraten zu können, und die Verweigerung der Hingabe, des
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