[52/53]
51
demnach unter anderem auch für Wollen und Handeln). Die form-
lose und unbeherrschte Weise der Eingliederung hat dagegen, das
liegt am Tage, leicht schwächende und zerstörende Folgen für das
Gezweiungsleben. Schwächung des Gezweiungslebens bedeutet aber
Verarmung des Gemütes und Stärkung der Ichbefangenheit. Hier,
nicht auf der Willensebene liegen also die entscheidenden Folgen.
Übrigens soll damit nicht gesagt sein, daß L e b h a f t i g k e i t
und edle L e i d e n s c h a f t die Gemeinschaft nicht noch mehr zu
stärken vermögen, aber als Massenerscheinung genommen, wohnen /
ihnen allerdings zum Teil Gefahren des Mißbrauches inne
1
.
Zu den Mißformen des Benehmens im weiteren Sinne gehören
auch U n v e r t r ä g l i c h k e i t u n d S t r e i t s u c h t . Zank
und Streit sind so weit verbreitet, daß gar manche Kunstwerke, so
die Sagas, das Nibelungenlied, die Opern Wagners (in zum Teil un-
gestalter Weise), die Opern Mozarts (in verklärter Weise), davon
stark mitbestimmt sind. Auch die Streitsucht sowie ihre planvolle-
ren Formen, z. B. die H ä n d e l s u c h t , d i e P r o z e ß s u c h t ,
ferner die K l ü n g e l b i l d u n g i m L e b e n d e r p o l i t i -
s c h e n P a r t e i e n u n d K ö r p e r s c h a f t e n , gehören in
Wahrheit nur untergeordneterweise dem Willensbereiche, der äuße-
ren Selbstbeherrschung an. Wesentlich ist vielmehr ihr oft geradezu
dämonischer Zug der Zerstörung der Gezweiung. Daher hat sie
verwüstende Folgen für das gesamte innere Leben. Soweit sie die
Gemeinschaft stört, gehört sie dem Gezweiungsbewußtsein an und
wurzelt (wie jede Störung der Gliedstellung) zuletzt in Selbstsucht;
soweit sie aber alle innere Stetigkeit und Ruhe verhindert und
auch im Zanksüchtigen selber keinen Frieden aufkommen läßt, ist
sie S e l b s t z e r f l e i s c h u n g . Insofern hat sie in der inneren
Unruhe ihre eigene Wurzel, also nicht in mangelhafter Mitfühl-
samkeit. Diese innere Unbefriedetheit deutet auf innere Wider-
sprüche, sogar auf Irresein. Selbstsucht und innere Störung des gei-
stigen Gefüges sind also die Grundlagen der so weit verbreiteten
Streitsucht und Unverträglichkeit. Daher denn auch ihre Heilmittel
keine anderen als Mitfühlsamkeit, Liebe, die allein von Selbstsucht
befreien, und Sammlung, die zu innerer Ruhe, Klarheit und Wider-
spruchslosigkeit führt, sein können.
1
Über die Stellung der Leidenschaften siehe unten S. 107 und 222 f.