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bestimmt durch die Nutzung des zuletzt angelegten Kapitalteilchens“
1
. —
Der Zusammenhang der beiden Einkommenszweige Zins und Lohn ist
folgender: „Die Verminderung der Zinsrente beim Anwachsen des Kapi-
tals (die aus dem Zinsgesetz folgt) kommt dem Arbeiter zugute und er-
höht den Lohn . . - — ein gesunder Widerspruch zu Ricardos Verteilungs-
gesetz, wonach der Lohn nicht steigen könne.
Thünens
Lohntheorie
ist zugleich bezeichnend für seine w i r t -
s c h a f t s p o l i t i s c h e Denkrichtung. Das eherne Lohngesetz Ricardos
fand er „empörend“. Er suchte eine Formel für den naturgemäßen und
zugleich gerechten Arbeitslohn. Naturgemäß könne nur ein Lohn sein,
bei dem jene Lohnarbeit, die Gebrauchsgüter herstellt (aus ihren Erzeug-
nissen), ebenso hoch bezahlt werde wie jene, die Kapitalgüter herstellt
Es ergibt sich ihm daraus die E r g i e b i g k e i t der Arbeit als / Mitbe-
stimmungsgrund des Lohnes, und er gelangt auf einem verwickelten
mathematischen Wege (über das Verhältnis von Lohn und Zins) schließ-
lich zu der berühmt gewordenen Formel
Lohn = √a . p,
wobei a den „Notbedarf“ (= die Reproduktionskosten der Arbeit in Men-
gen oder Geld ausgedrückt), p das Produkt (in Mengen oder Geld aus-
gedrückt) bedeutet. Dieser Lohn sei zugleich ein Höchstwert, bei dem der
Überschuß (y) über den Notbedarf insofern die größte Höhe erreicht, als
dabei der Zinsertrag dieses Lohnüberschusses der höchste ist. — Ein an-
deres und modernen Lehren wieder ganz entsprechendes Lohngesetz hat
Thünen im Zusammenhang mit der Erörterung der B e t r i e b s g r ö ß e
entwickelt. „Da es im Interesse der Unternehmer liegt — diese mögen
Landwirte oder Fabrikanten sein —, die Zahl der Arbeiter so weit zu
steigern, als aus deren Vermehrung noch ein Vorteil erwächst, so ist die
Grenze dieser Steigerung da, wo das Mehrerzeugnis des letzten Arbeiters
durch den Lohn, den derselbe erhält, absorbiert wird; umgekehrt ist also
auch der Arbeitslohn gleich dem Mehrerzeugnis des letzten Arbeiters.“
2
Das heißt: der Lohn des zuletzt angestellten Arbeiters ist in dem Sinn
das Normierende
3
, daß die Ausdehnung der Wirtschaft an einem von
ihm mitbestimmten Punkte ihre Grenze findet. — Thünen sprach damit
den an sich richtigen Gedanken der G r e n z e i n d e r K a p i t a l -
u n d A r b e i t s v e r w e n d u n g aus, den aber die spätere Grenz-
nutzenlehre fälschlich als eine Rechengröße
4
faßte. Während Thünen vom
Leistungsbau der Wirtschaft, also vom Ganzen eines Wirtschaftsge-
bildes aus, ihre Grenze bestimmte, will die Grenznutzenlehre fälschlich
umgekehrt von den Teilen und ihrem angeblichen „Grenzwerte“ her,
das heißt von unten hinauf, die Wirtschaft bestimmen.
c.
Wirtschaftspolitik
Ursprünglich war Thünen Freihändler. Später bekämpfte er die
Smith-Ricardosche Freihandelstheorie mit ähnlichen, wenn auch nicht so
1
Das gleiche Zinsgesetz bei Böhm-Bawerk, siehe unten S. 211 ff.
2
Johann Heinrich von Thünen: Der isolierte Staat in Beziehung auf
Landwirtschaft und Nationalökonomie, 4. Aufl., Stuttgart 1966, S. 572.
3
Johann Heinrich von Thünen: Der isolierte Staat in Beziehung auf
Landwirtschaft und Nationalökonomie, 4. Aufl., Stuttgart 1966, S. 576 f.
4
„Grenznutzen“ und „Grenzproduktivität“, vgl. unten S. 200 ff.