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ausgebildeten Beweisgründen wie Friedrich List, indem er die Gegen-
seitigkeit von „ G e w e r b e p r o f i t u n d G r u n d r e n t e “ hervorhob
und S c h u t z z ö l l e verlangte
1
. Auch der sozialen Frage widmete Thü-
nen, wie seine Lohnlehre beweist, größte Aufmerksamkeit. Man darf ihn
als den ersten theoretischen und praktischen S o z i a l p o l i t i k e r in
Deutschland bezeichnen.
2. B e u r t e i l u n g
a. Der Lehrgehalt der Standortlehre
Aus Thünens Kreisen ergeben sich Folgerungen für die Ver-
hältnismäßigkeit der Wirtschaftsarten, für die Ertragslehre und die
Rente.
Vor allem ergibt sich aus dem System der Thünenschen Kreise
die Einsicht: daß den einzelnen Wirtschaftssystemen nur „ v e r - /
h ä l t n i s m ä ß i g e V o r z ü g l i c h k e i t “ zukommt. Gegen Al -
brecht von Thaer, welcher damals die Fruchtwechselwirtschaft mit
Stallfütterung als die einzig richtige pries, erklärte Thünen: Die
Fruchtwechselwirtschaft ist nicht überall die richtige, sondern es
hängt von wirtschaftlichen Voraussetzungen ab, welche Erzeugungs-
weise, eine kapitalreiche, intensive oder eine extensive die jeweils
richtige ist, und zwar von der Marktnähe und damit von den Prei-
sen. (Daraus folgt, so erläutern wir, die Unrichtigkeit der bloß
technischen Auffassung der Wirtschaftsproduktivität.)
Die Wissenschaft hat diese wichtige Lehre in ihrer Anwendung auf
andere Wirtschaftszweige nicht weiterverfolgt. Der Verfasser dieses Bu-
ches bemühte sich, in seiner Kritik der M a r x i s c h e n K o n z e n t r a -
t i o n s l e h r e nachzuweisen, daß auch für die gewerblichen Betriebs-
arten (Groß- und Kleinbetrieb) nur verhältnismäßige Richtigkeit be-
stehe, nicht aber durchgängige Überlegenheit des größeren Betriebes, das
heißt des kapitalreicheren und technisch vollkommeneren Betriebes, wie
Marx fälschlich behauptet; und daß diese Verhältnismäßigkeit vor allem
von der verschiedenen M a r k t g r ö ß e abhängig ist
2
. Unsere Regel lau-
tet: Für den k l e i n e n M a r k t i s t d e r K l e i n b e t r i e b , f ü r
d e n g r o ß e n d e r G r o ß b e t r i e b d e r j e w e i l s r i c h t i g e .
Von der Lehre der nur verhältnismäßigen Richtigkeit der Be-
wirtschaftungssysteme aus ergibt sich von selbst eine Theorie der
Grundrente. Thünen behandelt hauptsächlich die R e n t e d e r
L a g e , in zweiter Reihe die damit verbundene Rente der Inten-
1
Vgl. Johann Heinrich von Thünen: Der isolierte Staat, a. a. O., II/2.
-
Vgl. unten S. 177 f und mein Buch: Der wahre Staat, 4. Aufl., Jena
1938, S. 131 ff.