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und Verfeinerungen der Sätze / der Assoziationslehre. Denn grundsätzlich
enthalten sie einen unlösbaren Widerspruch zwischen der atomistisch-mechani-
schen Annahme der Assoziationslehre und dem sinnvoll-ganzheitlichen Grund-
begriffe, der in den Begriffen der „Zielstrebigkeit“, „Gestaltqualität“ usf. (diese
einzeln für sich genommen) immerhin enthalten ist. Eingebung ist hier überall
unmöglich
1
.
Dem Empirismus hat schon P l a t o n entscheidend widersprochen, indem er
richtig die sinnliche Erkenntnis als unsicher, als „Meinung“ bezeichnet, das
echte Wissen aber als Erweckung der „Ideen“ in uns, demnach als Eingebung.
(Erkennen = Erinnerung an die im Vorsein geschaute Idee
2
.)
Klarer ausgebildet als der platonische, aber dafür angreifbarer ist der auch
heute noch lebendige
aristotelisch-scholastische Erkenntnisbegriff,
wonach a) Bild-
chen (Eidola) sich von den äußeren Dingen ablösen sollen und b) der erlei-
dende Verstand (Intellectus possibilis) diese dann mit Hilfe des tätigen Ver-
standes (Intellectus agens) aufzunehmen habe. Durch den „tätigen Verstand“
(Intellectus agens) ist hier etwas echt Schöpferisches in das Denken gebracht.
Eine planmäßige, begriffliche Verwertung dieses Schöpferischen in der Erklärung
des Denkens ist aber bei Aristoteles und in der Scholastik nicht erfolgt.
3
Auch die Lehre des äußersten R a t i o n a l i s m u s , daß alles Denken
aus „angeborenen Begriffen“ herkomme, hält nicht stand.
Näher kommt die Seelenlehre des deutschen Idealismus an die Wahrheit
heran.
Fichtes
Lehre hat das Große, daß sie den Geist mit einer Urtat be-
ginnen läßt, der Selbstsetzung, die zugleich Selbstentgegensetzung oder Selbst-
objektivierung ist — Objektivierung aber, Vergegenständlichung ist bereits Wissen.
Das Wissen in diesem weitesten Sinne ist allerdings noch nicht die besondere
Erscheinungsform des Geistes, die wir im denkenden Erkennen vor uns haben,
sondern Fichte sagt damit, daß etwas, was noch vor den Besonderungen
„Denken“ und „Wollen“ liegt, den Anfang des Geistes ausmache. Die beson-
dere Form des Denkens im engeren Sinne ist hier aber dadurch vorbereitet,
daß in der Urtat der Selbstsetzung bereits, wie gesagt, die V e r g e g e n s t ä n d -
l i c h u n g enthalten ist. Wird dieser Vorgang weiter getrieben, so entwickelt
sich die Vergegenständlichung nach Fichte in dialektischen Setzungsschritten
stufenweise zum S e l b s t b e w u ß t s e i n , z u r V e r n u n f t . — Diese Ge-
danken stehen hoch über der empiristischen Ärmlichkeit, welche sämtliche ge-
strigen und heutigen / psychologischen Schulen noch zeigen. Aber es bedarf
unseres Erachtens einer Vervollständigung der Fichtischen Grundgedanken: Vor
der Selbstsetzung des Subjektes steht die Gezweiung, denn Selbstsetzung ist an
Gezweiung gebunden. Dadurch ist die Vergegenständlichung nicht die erste
und einzige Urerscheinung des Geistes, sondern sie tritt neben die Gezweiung
und hinter sie. (In der Vergegenständlichung selbst aber scheiden sich dann bei
uns außerdem Eingebung und Verarbeitung, was bei Fichte aber seine Schwierig-
keiten hat.)
Schelling und Hegel
bewegen sich grundsätzlich in den Bahnen Fichtes. Je-
doch hat Schelling durch weit stärkere Hervorhebung des Begriffes der „intellek-
1
Weiteres über die Assoziationslehre noch unten S. 74 ff.
2
Siehe unten Anhang S. 360 ff.
3
Vgl. mein Buch: Philosophenspiegel, Leipzig 1933, S. 189 ff. [2. Aufl.,
Wien 1930, S. 220].