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folgt erst aus dem Geschaffenwerden durch das, was sich — aus

höheren Ganzheiten, in denen der Einzelne enthalten ist — dem

Geiste eingibt. Nur aus einer höheren Ganzheit kann die niedere die

Anregungen zu ihrem Eigenleben (in Gezweiung) empfangen. Und

eben diese Anregung ist die Eingebung.

Daß die Eingebung am Grunde alles geistigen Seins liege, habe

ich anderen Ortes ausführlich gezeigt und brauche es hier nicht zu

wiederholen

1

. Auch lehren es die Geschichte der Wissenschaft wie

die eigenen Erfahrungen eines jeden Menschen.

Aus der G e s c h i c h t e d e r W i s s e n s c h a f t geht hervor,

daß jede große Lehre auf einen Blitzschlag der Erkenntnis, auf eine

Eingebung zurückgeht. Ob man nun an Newtons Schwerkraftlehre

denke (Geschichte vom fallenden Apfel, dessen Anblick Newton

blitzartig die Einerleiheit der Schwerkraft im freien Falle und in

der Bewegung der Himmelskörper inne werden / ließ) oder an

Franklins Eingebung der Einerleiheit von Blitz und elektrischem

Funken oder an Fichtes Lehre von der Selbstsetzung des Ich (deren

Begriff man nicht erklären, sondern nur erleben kann) oder an

Schellings Naturphilosophie (die Natur lebt und ist Geist) oder an

beliebige andere grundlegende Lehren der Wissenschaften oder

endlich an die traumhaften, fast wie Besessenheit anmutenden Zu-

stände der Entdecker, Erfinder, Künstler in ihren schöpferischen

Zeiten (z. B. hat A n g e l u s S i l e s i u s das erste Buch des

„Cherubinischen Wandersmannes“ in vier Tagen, L o p e d e

V e g a jedes seiner tausend Dramen innerhalb weniger Tage ge-

schrieben), stets wird sich zeigen, daß alle großen Lehren der Wis-

senschaft und Erfindung auf Geistesblitze ihrer Urheber beruhen.

Nicht ein Erschlossenes noch ein sinnlich Empfundenes, sondern ein

geistig Geschautes steht an der Wiege alles Wissens. Auf diese gei-

stigen Schauungen folgten stets die begrifflichen Ausarbeitungen

erst hinterdrein nach. Der Mathematiker Gauß sagte einmal: „Ich

habe das Resultat, ich weiß nur noch nicht, auf welchem Wege ich

es erreichen werde“ — durch Eingebung kommt ihm dasjenige,

was erst später in schlußfolgernder Begründung entfaltet wird, was

schließlich zur Ausbildung des ganzen Begriffsgebäudes führt.

Hieran zeigt sich auch, daß die Eingebung einerseits, ihre weitere

1

Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 51 ff. und 236 ff.