[64/65]
61
folgt erst aus dem Geschaffenwerden durch das, was sich — aus
höheren Ganzheiten, in denen der Einzelne enthalten ist — dem
Geiste eingibt. Nur aus einer höheren Ganzheit kann die niedere die
Anregungen zu ihrem Eigenleben (in Gezweiung) empfangen. Und
eben diese Anregung ist die Eingebung.
Daß die Eingebung am Grunde alles geistigen Seins liege, habe
ich anderen Ortes ausführlich gezeigt und brauche es hier nicht zu
wiederholen
1
. Auch lehren es die Geschichte der Wissenschaft wie
die eigenen Erfahrungen eines jeden Menschen.
Aus der G e s c h i c h t e d e r W i s s e n s c h a f t geht hervor,
daß jede große Lehre auf einen Blitzschlag der Erkenntnis, auf eine
Eingebung zurückgeht. Ob man nun an Newtons Schwerkraftlehre
denke (Geschichte vom fallenden Apfel, dessen Anblick Newton
blitzartig die Einerleiheit der Schwerkraft im freien Falle und in
der Bewegung der Himmelskörper inne werden / ließ) oder an
Franklins Eingebung der Einerleiheit von Blitz und elektrischem
Funken oder an Fichtes Lehre von der Selbstsetzung des Ich (deren
Begriff man nicht erklären, sondern nur erleben kann) oder an
Schellings Naturphilosophie (die Natur lebt und ist Geist) oder an
beliebige andere grundlegende Lehren der Wissenschaften oder
endlich an die traumhaften, fast wie Besessenheit anmutenden Zu-
stände der Entdecker, Erfinder, Künstler in ihren schöpferischen
Zeiten (z. B. hat A n g e l u s S i l e s i u s das erste Buch des
„Cherubinischen Wandersmannes“ in vier Tagen, L o p e d e
V e g a jedes seiner tausend Dramen innerhalb weniger Tage ge-
schrieben), stets wird sich zeigen, daß alle großen Lehren der Wis-
senschaft und Erfindung auf Geistesblitze ihrer Urheber beruhen.
Nicht ein Erschlossenes noch ein sinnlich Empfundenes, sondern ein
geistig Geschautes steht an der Wiege alles Wissens. Auf diese gei-
stigen Schauungen folgten stets die begrifflichen Ausarbeitungen
erst hinterdrein nach. Der Mathematiker Gauß sagte einmal: „Ich
habe das Resultat, ich weiß nur noch nicht, auf welchem Wege ich
es erreichen werde“ — durch Eingebung kommt ihm dasjenige,
was erst später in schlußfolgernder Begründung entfaltet wird, was
schließlich zur Ausbildung des ganzen Begriffsgebäudes führt.
Hieran zeigt sich auch, daß die Eingebung einerseits, ihre weitere
1
Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 51 ff. und 236 ff.