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zum Auge die Empfindung von Lichtfunken, zum Ohr Ohrensausen hervorruft,

erhöhte Absonderungen der Galle die Speisen bitter schmecken lassen, können

auch krankhafte Vorgänge im Nervensysteme plötzliche Erscheinungen von

Schreckgestalten mitbedingen oder das Gefühl des Steigens und Fallens oder

Halluzinationen, häufige Wiederholung bestimmter Träume usw. hervorrufen,

wobei freilich der Geist ebenfalls immer mitwirken muß. Entscheidend bleibt

aber, daß s o l c h e Eingebungen, welche gehaltvolle Kunstwerke, zusammen-

hängende Gedanken, die ihr Ziel erreichen, sinnvolle Worte von Bedeutung in

sich schließen, stets aus dem schöpferischen Grunde des Geistes stammen. Das

Körperliche ist dabei nur Vorbedingung. Übrigens unterscheidet ein klarer

Geist die Herkunft der Eingebungen, er merkt, was aus dem Körper, was aus

dem Geiste stammt.

4.

Die Annahme der Eingebung

Weil die unserem Geiste sich anbietenden, von ihm Vorgefunde-

nen Eingebungen erst übernommen und verarbeitet werden müssen,

müssen wir auch zu dieser Übernahme und Verarbeitung einen

A n f a n g machen, uns dazu aufraffen: Wir müssen dem Geschaf-

fenwerden (durch Eingebung) das Schaffen (durch die Weiterver-

arbeitung) folgen lassen. Diesen Anfang zum eigenen Schaffen kön-

nen wir füglich die A n n a h m e / (acceptatio) der Eingebung

nennen

1

. Wenn wir weiter bedenken, daß sich kleine Eingebungen

unaufhörlich unserem Geiste anbieten, da er doch stets irgendwie

gesammelt ist (nur der gänzlich zerstreute Geist wäre verödet, ohne

Eingebung), dann erkennen wir daraus die große Bedeutung der

Annahme, die zugleich eine A u s w a h l , ein Ergreifen ganz be-

stimmter Eingebungen ist.

Für die Annahme sowie die in ihr liegende Auswahl ist ebenfalls

Gezweiung die schließliche Vorbedingung. Die Annahme ist eine

arteigene innere Phase der Selbstsetzungstätigkeit des Geistes, eine

innere Tat, ohne welche die weitere Entfaltung unseres Geisteslebens

nicht möglich wäre. Erst in der Annahme liegt die innere A n e i g -

n u n g d e s E i n g e g e b e n e n und erst auf diese kann die

innere Verwertung, die weitere Verarbeitung folgen.

Dort, wo die bewußte Annahme nachläßt oder fast aufhört, haben

wir wieder eine Unvollkommenheitserscheinung, den M a n g e l

a n S e l b s t z u c h t d e s D e n k e n s , welchem einzelne wahllos

sich ausliefern und der schließlich in I d e e n f l u c h t übergehen

1

Vgl. Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 242 ff.