72
[77/78]
durch eine falsche Fortbildung der Eingebung entsteht. Auf alle
diese Weisen werden Fehlbegriffe entwickelt. Dazu verleiten ins-
besondere ungenügende Benennungen (die von a—c auftreten kön-
nen). Zum Beispiel kann man sagen, daß der unglückliche Name
„Synthesis“ bei Kant und Fichte die fruchtbare Fortbildung des
dialektischen Verfahrens verhinderte, weil sich „Synthesis“ dem
Worte nach stets als ein Nachträgliches — statt vorher Ausgliedern-
des — vorstellte. Im Falle a liegt eine u r s p r ü n g l i c h e F e h l -
d e u t u n g der Eingebung vor, im Falle b und c eine w i d e r -
s p r u c h s v o l l e E n t f a l t u n g des Begriffes.
Ein Beispiel der Fehldeutung einer Eingebung biete Robert Mayers Energie-
begriff. Die Eingebung, daß Wärme und mechanische Arbeit verwandt seien
(z. B. die Wärmeleistung eines dampfenden Pferdes und eines Mechanismus,
etwa einer Dampfmaschine), war richtig. Unrichtig dagegen war a) die Deutung,
wonach jede Energie, auch jede organische, ausnahmslos aus der Umformung
einer anderen herkomme (denn das liegt keineswegs in der Eingebung); b) die
Fortschleppung dieses Fehlers. Zwar war in sich logisch richtig wieder die aus
dieser Fehldeutung gezogene Folgerung eines „Gesetzes der Erhaltung der Ener-
gie“. Aber als allgemeines Naturgesetz ist es falsch und verrät jedenfalls, daß für
Robert Mayer, Helmholtz usf. eine andere Eingebung, jene von der Selbstsetzung
(Spontaneität) in der Ausgliederung organischer Ganzheiten unerschwinglich war.
In der Eingebung Robert Mayers liegt jedenfalls diese rein mechanistische Aus-
deutung noch nicht mit eingeschlossen.
1
/
Die üblichen Grundbegriffe der überlieferten Logik: B e g r i f f ,
U r t e i l , S c h l u ß m i t S c h l u ß f i g u r e n , B e g r i f f s -
b e s t i m m u n g , E i n t e i l u n g , B e w e i s , V e r f a h r e n ge-
hören dem verarbeitenden Denken an. Sie werden erst voll
verständlich, wenn man ihnen die Eingebung voranstellt. Die f o r -
m a l e L o g i k , die heute ihren Platz neben einer fälschlich ge-
trennten Psychologie und Erkenntnistheorie nicht finden kann,
wird dadurch an ihren richtigen Ort gewiesen. Sie steht in Wahr-
heit nicht im Gegensatze zur „Psychologie des Denkens“ noch zur
„Theorie des Erkennens“, sondern gehört zur reinen Wesenslehre
des Denkens. Demnach ist die formale Logik als jener Teil der
Geisteslehre zu bezeichnen, welcher die verarbeitenden oder unter-
gliedernden Vorgänge des vergegenständlichenden Bewußtseins dar-
zustellen hat.
1
Vgl. auch unten S. 81 f. und öfter.