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Man kann zwar nicht sagen, daß der Wissenschaft der formalen

Logik die Unterscheidung von Eingebung und Verarbeitung bisher

völlig fremd geblieben wäre, aber wohl, daß diese Unterscheidung

auf ihre Darstellung des Denkvorganges keinen Einfluß übte, schon

weil sie mit der Eingebung nicht Ernst machte. Unerläßlich ist es:

das eingebende Denken als den Grundgegenstand oder Gesamtgegen-

stand a u f f a s s e n d und das verarbeitende Denken als denselben

u n t e r g l i e d e r n d zu bestimmen; sodann aus den Unterglie-

derungen und den darin enthaltenen vielfachen Gliedhaftigkeiten

der Gegenstände (Begriffe) erst die Sonderformen: Urteil, Schluß,

Einteilung, Verfahren usw., also in ihrer Stellung und Rolle für die

Untergliederung der Begriffswelt, zu bestimmen.

Um dieses Ziel zu erreichen, muß aber vor allem der sensualistische Grund-

irrtum, den wir schon berührten, beseitigt werden, als wäre der

Begriff

nur die

Summe der vielen Dingen „gemeinsamen Merkmale“, welche „Gemeinsamkeit“

angeblich nach der „Ökonomie“ des Denkens (M a c h ) oder nach dem prakti-

schen „Erfolge“ (Pragmatismus von J a m e s ) gebildet werden soll. Auch die

Windelband-Rickertische Begriffsbildungslehre

leidet noch

in entscheidenden

Punkten an diesem empiristischen / Mangel, wie ich anderen Ortes zeigte

1

. Das

Wesen des Begriffes darf nicht von den Merkmalen her, sondern die Merkmale

müssen vom Begriffe her bestimmt werden — die Glieder von der Ganzheit her!

Der echte Begriff gibt den Gegenstand als Ganzheit wieder und faßt ihn dann

nicht als „Summe gemeinsamer Merkmale“, sondern als h ö h e r e G a n z h e i t ,

das heißt als A l l g e m e i n e s , das zu Untergliederungen (zu gliedhaften Merk-

malen) führt; er faßt den Gegenstand aber auch zugleich als n i e d e r e

G a n z h e i t , das heißt als Glied, welches höhere Ganzheiten über sich hat

und dadurch selber das B e s o n d e r e eines Allgemeinen ist. Jeder Begriff hat

diese beiden Seiten, des Allgemeinen und des Konkreten, zugleich und ist daher

stets das Konkret-Allgemeine. — Von diesem Gesichtspunkte aus sind erst die

Aufgaben der untergliedernden Denkvorgänge zu stellen, also die „logischen

Operationen“ zu erforschen.

Das

Urteil

(S ist P) stellt sich dann nur der äußeren Form nach als eine

Verbindung von Subjekt und Prädikat dar. Grundsätzlich ist das Urteil eine

Unterordnung des Gliedes unter die Ganzheit, also dem reinen, wesenhaften

Zusammenhange der Begriffe nach jene Tat des Denkens, welche die Unter-

gliederung des höheren (allgemeineren) Begriffes vornimmt. Beispiel: die Eiche

ist ein Baum = die Gattung Baumheit hat zum Gliede die Eichenheit, die

Eichenheit hat zum Gliede die einzelne Eiche. Allerdings ist der Stockwerkbau

der Gattungen, Arten, Glieder nicht in jedem Urteile so einfach ersichtlich

2

.

1

Die Einheit von Theorie und Geschichte, Festschrift für von Below,

Berlin 1928, S. 322, jetzt in: Kämpfende Wissenschaft, Jena 1934, S. 159 ff.

2

Prädikation ist jedenfalls nicht die „Hinzufügung einer Eigenschaft“ zu

einem Subjekte, sondern Festlegung der Gliedstellung des Subjektes. Vgl. dazu:

Kämpfende Wissenschaft, Jena 1934, S. 162 ff. und 172.