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d e u t i g e n Verbindungsgesetzes noch eine A u s w a h l
der wiederzuerzeu-
genden (zu assoziierenden) Vorstellungen annehmen muß und diese, in
geistloser Nachahmung des Darwinismus, durch den S i e g d e r r e p r o d u k -
t i v s t ä r k s t e n V o r s t e l l u n g (und dergleichen) bestimmt sein läßt —
was soviel heißt, als die Armut aus der pauverté erklären. Auch die sogenannte
„Denkpsychologie“ kann nicht angeben, welche Ordnungszusammenhänge wahr,
welche unwahr sind. Hier fehlt die Eingebung als Grundlage des Gedachten
1
.
Der Denkpsychologie gegenüber gilt der zu unserem ersten Satze
2
hinzuzu-
fügende Satz:
2.
Das verarbeitende Denken ist in Wahrheit keine Auswahl aus einem, ge-
gebenen Stoffe
assoziativer Verbindungen;
sondern es folgt aus der Annahme
einer Eingebung und den Sacherfordernissen der Untergliederung der Eingebung.
Daß das verarbeitende Denken kein mechanisches Aussondern der assoziativ vor-
gegebenen Vorstellungsmassen, z. B. durch den „Sieg der stärksten Vorstellung“,
ist, sondern ein sinnvolles Untergliedern des in der Eingebung erfaßten Gegen-
standes, zeigte sich schon früher
3
. Dieses sinnvolle Untergliedern — Zerlegen
und Verbinden — hat daher seine Fehler im Nichtfesthalten der Eingebung. Es
kann durch Einmischung persönlicher Wünsche und Ziele gestört werden — das
heißt aber dann nicht durch „andere“ Assoziationen oder „stärkere“, sondern,
wie sich schon früher zeigte, durch
Ausgliederungserfordernisse anderer,
fremder
Bereiche.
Solche „Einmischungen“ mögen sich äußerlich als „Assoziationen“ dar-
stellen, sie s i n d a b e r k e i n e A s s o z i a t i o n e n , s o n d e r n S e t z u n -
g e n a n d e r e r g e i s t i g e r G e b i l d e , seien es Denkgebilde, Gezweiungs-
gebilde, Gestaltungsgebilde, Willensgebilde, Sinnlichkeitsgebilde.
/
Das rein s a c h l i c h e D e n k e n entspricht den reinen Ausgliederungs-
erfordernissen, die vom Sachgehalte der Eingebung bestimmt werden; das v e r -
f ä l s c h e n d e D e n k e n entspricht den Ausgliederungserfordernissen störender
Gebilde und Ziele, welche der Denkende jeweils aus anderen Schichten des geistig-
seelischen Lebens fälschlich aufnimmt (durch Nichtfesthalten der Eingebung usf.).
I n d e m d u r c h d i e s t ö r e n d e n A u s g l i e d e r u n g s e r f o r d e r n i s s e
a n d e r e r D e n k b e r e i c h e i n s i c h g e g l i e d e r t e G e d a n k e n g ä n g e
z e r r i s s e n w e r d e n , entstehen falsch gegliederte, vermischte oder schwach
geordnete (gedankenschwache) Zusammenhänge — und damit tritt erst das auf,
was fälschlich unter „Assoziation“ als eine ursprüngliche Erscheinung aufgefaßt
wurde. Wieder bestätigt sich das frühere Ergebnis: Will man von Assoziationen
überhaupt sprechen, so kann es nur im Sinne von F e h l g l i e d e r u n g e n der
Denkbestandteile, von Unvollkommenheiten der Verarbeitung geschehen.
Ausgliederungserfordernisse anderer Bereiche des geistigen Lebens, welche
störend in ein neues Denken eingreifen können, treten insbesondere auch
in Form von
Gewohnheiten
auf, das heißt von stetig ausgebildeten und
daher jeweils schon bestimmt geformten geistigen Tätigkeiten und Vorgän-
gen. Die Gewohnheiten nähern sich am meisten einem mechanischen Bilde ihres
Ablaufes. D e n n d i e G e w o h n h e i t i s t e i n V e r l u s t d e s G e i s t e s
a n W a c h h e i t , an Erlebnisfrische. Andrerseits bildet allerdings die Gewohn-
heit in unserem äußeren Leben insofern auch ein aufbauendes Element, als sie
uns praktisch entlastet, ja unentbehrlich ist. Würden wir z. B. jedesmal beim
1
Siehe oben S. 6o ff. und 67 ff.
2
Siehe oben S. 75.
3
Siehe oben S. 67 ff.