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[92/93]

8.

Bemerkung über Vollkommenheits- und Unvollkommenheits-

formen des Wissens

Eine überblickende Darstellung der Vollkommenheits- und Un-

vollkommenheitsformen des erkennenden Bewußtseins, wie sie

beim Gezweiungsbewußtsein erfolgte

1

, würde hier zu weit führen.

Einige grundlegende Gegenüberstellungen ergaben sich bereits im

Laufe der bisherigen Untersuchungen, so: T i e f s i n n gegen

S c h a r f s i n n

2

; l o g i s c h e R i c h t i g k e i t u n d W i d e r -

s p r u c h s f r e i h e i t gegen W i d e r s p r u c h u n d U n -

l o g i k im untergliedernden Denken

3

; g e s a m m e l t e s gegen

z e r s t r e u t e s D e n k e n (Mangel an Selbstzucht des Denkens,

Ideenflucht

4

); l e b e n s n a h e s , weil eingebungstiefes, gegen

l e b e n s f r e m d e s , weil eingebungsschwaches Denken (Faust ge-

gen Famulus Wagner). — Die Verwurzelung des Denkens in der

Gezweiung kommt zuerst in der Eingebung zutage, denn Einge-

bung ist zuletzt an Gezweiung gebunden. Sodann zeigt sie sich im

Gebrauche des Wissens / innerhalb der Gemeinschaft. Das wird

insbesondere klar an dem Unterschiede von W a h r h a f t i g k e i t

u n d L ü g e . Beide gehören nicht dem Denken allein an, denn die

Lüge betrifft stets auch den Anderen, sie zerstört die Gezweiung.

Wahrheit dagegen fördert sie. Allerdings kann man nicht immer un-

eingeschränkt alle Wahrheit sagen, die weder das gegenständliche

Gebilde der Gezweiung noch die Fassungskraft des Einzelnen er-

tragen würde (wie z. B. in der Erziehung die hohen Einsichten nur

stufenweise vorgetragen werden, um den Zögling nicht zu ver-

wirren). — Nur mittelbar der Gezweiung, unmittelbar dem Eigen-

leben des Denkens gehört die L ü g e g e g e n s i c h s e l b s t an,

die das Böse haben will und den guten Schein dazu. Nur im milde-

ren Falle entspringt sie der Bequemlichkeit des Menschen, sein Den-

ken und Tun — damit auch seine Gliedstellung in der Gemein-

schaft — nicht zu überprüfen. Selbstbelügung einerseits, philister-

hafte S e l b s t z u f r i e d e n h e i t andrerseits gehen zusammen.

Mut zur W a h r h e i t dem Anderen wie sich selbst gegenüber

gleicht dem Heldentume.

1

Siehe oben S. 45 ff.

2

Siehe oben S. 69.

3

Siehe oben S. 67 f.

4

Siehe oben S. 66 und 76.