[
121
/
122
]
141
Südamerika als Getreidelieferant Deutschlands). Darum gilt die
Thünensche Kreisfolge heute nicht mehr im Umkreis der einzelnen
Städte, jedoch in großen Zügen für das Gesamtsystem der im Ver-
kehr befindlichen Länder, indem die dichtbevölkerten großgewerb-
lichen Länder (besonders England und Deutschland) die Märkte
für die entfernten dünnbevölkerten Ackerbauländer bilden. Daher
ist für die Großstädte heute in der Regel nur noch der erste Kreis
erkennbar (der z. B. für Wien ganz Niederösterreich, Burgenland,
Nordsteiermark, welche Gemüse, Milch usw. liefern, umfaßt). Ja,
man kann sagen, daß heute grundsätzlich ganz Innereuropa und
England im ersten Kreise liegen, sofern es sich um eisenbahnnahe
Gebiete handelt, schlechter Boden und Klima keine Hindernisse
bilden. — Im einzelnen findet man aber durch die überaus ver-
wickelten Verkehrsverhältnisse (ein Ort ohne Kraftwagenverbin-
dung, der zwei Tagemärsche von einer Bahn abseits liegt, kann
wirtschaftlich marktferner sein als ein geographisch zehnfach so
weiter Bahnhof), durch verschiedene Bodenbeschaffenheit, verschie-
denes Klima und anderes die Standorte meist völlig durcheinander-
gewürfelt.
/
K n i e s
hat
eine E r g ä n z u n g
an
d e r T h ü n e n s c h e n L e h r e
angebracht durch das Gesetz: daß die marktfernen Gebiete, wenn sie
durch
eine Verkehrsverbindung Marktnähe erlangen, eine Hebung des
Bodenpreises erfahren (auf Grund der Möglichkeit, zu intensiver Bewirt-
schaftung überzugehen), die marktnahen Gebiete aber dadurch eine Sen-
kung ihres Bodenpreises erleiden (wegen der nunmehr größeren Gesamt-
erzeugung) .
c. Zur Berichtigung und Fortbildung
der Thünenschen Standortlehre
wäre allerdings einiges zu bemerken.
a. Zuerst, daß die Landwirtschaft von sich heraus kleine I n d u -
s t r i e z e n t r e n , das heißt M ä r k t e , bildet, worauf schon Dühring
1
aufmerksam machte: Um diese Märkte müssen sich wieder Kreise bilden,
wodurch das allgemeine System der Kreise durchbrochen wird.
Im Anschluß daran ist auf folgenden Umstand hinzuweisen: Wo Bren-
nereien, Zuckerfabriken und ähnliche landwirtschaftliche Gewerbe mit
der Landwirtschaft verbunden sind, ist als A b f a l l e r z e u g n i s
V i e h f u t t e r gegeben; dadurch wird die Viehzucht mitten in den inten-
sivsten Getreidekreis gerückt, so daß in diesem Falle das System der
Kreise von innen her eine Umbildung erfährt (auch abgesehen davon,
daß diese Gewerbezentren Märkte sind).
1
Eugen Dühring: Kursus der National- und Sozialökonomie, 4. Aufl.,
Leipzig 1925, S. 251 ff.