104
[114/115]
darin liegt ihre Bedeutung. Weil erst im Handeln verborgene In-
nerlichkeit zutage tritt, lernt sich auch der Mensch im Handeln erst
ganz kennen:
Wirke! Nur in seinen Werken
Kann der Mensch sich selbst bemerken.
(Rückert)
/
Das Handeln wird damit zur Selbstbezeugung des Menschen. Es
ist soviel wert, als der Geistesgehalt wert ist, den es an den Tag
bringt. Es bringt damit erst die letzte Entscheidung über das Inner-
ste des menschlichen Daseins.
Da nicht alles Handeln großen Geistesgehalt auswirken kann,
wird es verständlich, daß g l e i c h m ä ß i g e ä u ß e r e A r b e i t
eine bildende und verstetigende Bedeutung für den ganzen Men-
schen habe. In dieser Stetigkeit, Übung und Selbstbezeugung liegt
auch der Segen des B e r u f e s , und das nicht nur für den gewöhn-
lichen, auch für den hochbegabten und sogar für den wahrhaft
schöpferischen Menschen
1
.
Die grundlegende Eigenschaft, daß das Handeln Vorgeordnetes
verwirklicht, erklärt endlich auch eine andere, sonst geheimnisvoll
anmutende Eigenschaft: das E n t l a d e n d e , welches allem Tun
zukommt. Etwas „auswirken“ heißt nicht nur es entfalten, sondern
auch den Geist von jenen inneren Spannungen befreien, die darin
liegen, daß ein Vorgeordnetes zur Verwirklichung im Tun hin-
drängt. Darum so oft die Wendung, die Reue unmittelbar nach der
Tat. Das brachte Schiller in der Braut von Messina
2
zum Aus-
drucke:
Ein andres Antlitz, eh’ sie geschehen,
Ein andres zeigt die vollbrachte Tat.
Mutvoll blickt sie und kühn dir entgegen,
Wenn der Rache Gefühle den Busen bewegen;
Aber ist sie geschehn und begangen,
Blickt sie dich an mit erbleichenden Wangen.
Zugleich läßt aber das Entladende, Befreiende des Tuns abermals
erkennen, wie unentbehrlich rechte Tätigkeit für die D i ä t e t i k
d e s G e i s t e s sei. Tatenloses Schwelgen in Liebe, Gedanken und
Gestaltung beraubt den Geist seiner Entfaltung und letzten Ver-
1
Vgl. meine Schrift: Fluch und Segen der Wirtschaft, Jena 1931, S. 21 ff.
2
Schiller: Die Braut von Messina, Zeile 2007 ff.