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l i c h k e i t u n d M a t t h e i t führt. — Daß die Selbstbeherr-

schung im Verkehr mit anderen mehr der Gezweiung als dem Wil-

len angehört, ergab sich schon früher

1

. Auch g e i s t i g e S e l b s t -

z u c h t u n d d a s Z u s i c h s e l b s t f i n d e n (der eigenen Persön-

lichkeit) haben ihren Schwerpunkt niemals im Willen, sondern stets

in jenen Geistesinhalten und ihren Vervollkommnungen, auf die es

bei der jeweiligen Individualität des Menschen ankommt — dem

Weckrufe Pindars gemäß: „Werde, der du bist!“ Auch hier fließen

Vollkommenheit des Handelns und Vollkommenheit der Eingliede-

rung in die Gemeinschaft zusammen.

Selbst die F e i g h e i t gehört nicht allein dem Willen an, denn

die eigentliche Feigheit, jene gegen sich selbst, geht mit Selbst-

belügung zusammen. Und die L ü g e ist nicht nur Willenssache,

sondern gehört auch dem Gemeinschaftsleben und der Erkenntnis

an.

Vom Vorgeordneten des Handelns her fällt zuletzt auch ein Blick

auf das (fälschlich nur in der Kunstlehre behandelte) T r a g i s c h e .

Zum Verständnisse desselben ist entscheidend, daß der tragische

Held, wie er uns in großen Zeiten der Geschichte entgegentritt,

n i c h t a l s W i l l e n s m e n s c h groß ist und untergeht, son-

dern in Anbetracht des Vorgeordneten, das er in die Tat umsetzen,

der Welt einbilden will! Denn auch der stärkste Wille kann sich in

Kleinlichkeiten und Eigensinn verzetteln und dabei scheitern, unter-

gehen, aber Tragik wird diesem Untergange dadurch nicht ver-

liehen. Erst der hohe Geistesgehalt der Taten macht den Helden.

Überweltlichkeit, vor allem hoher Gemein- / schaftswert, Wahr-

heit, Schönheit, Vollkommenheitsstreben muß diesen Geistesgehalt

bestimmen, wenn er, als gescheiterter, tragisch heißen soll. Daher

kann Tragik auch dem Denker und Künstler, nicht nur dem äußeren

Täter zukommen. Die Tragik Mozarts, der weder von seiner Zeit

noch von der heutigen verstanden wird und doch mit Engelszungen

redete, die Tragik Schellings und Fichtes, die überweltliches Wissen

verkündeten, von denen sich aber ihr Volk abwandte, um sich spä-

ter bald dem bösen Geiste, dem Empirismus, zuzuwenden, mögen

als Beispiele rein geistiger Tragik genügen.

1

Siehe oben S. 50.