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ganzen Menschen kommt. Eigensinn, geistiger Hochmut, Unduldsamkeit sind da-

her in der Gelehrten- und Künstlerwelt besonders zu Hause. In der Erzählung

„H a i m a t o c h a r e “ von Theodor Amadeus H o f f m a n n vergessen zwei

Gelehrte ihre Lebensfreundschaft um ein Insektchen und fallen / schließlich

beide im Zweikampfe miteinander! Der geringfügigste äußere Zusammenstoß

brachte sie in einer dem geistigen Gehalte der Sache nicht angemessenen Weise

aus dem Gleichgewichte — kennzeichnend für die meisten, so zahlreichen Gelehr-

ten-Feindschaften, die oft ein ganzes Leben währen; aber auch für Künstlerfeind-

schaften: „Doch wenn Du meine Verse nicht lobst — So laß ich mich von Dir

scheiden“.

Eine Schwierigkeit in der Vereinigung von schauendem und tätigem Leben

liegt vor allem darin, daß, wie wir schon früher hervorhoben, die Schauung,

welche im Handeln ausgewirkt wird, nicht ursprünglich vom Handelnden selbst

herstammen muß. Dadurch wird eine Trennung der handelnden und schauenden

Haltung praktisch möglich. Die großen Staatsführer, z. B. Alexander der Große,

Karl der Große, Friedrich der Große, Bismarck, haben die grundlegenden Kultur-

gedanken stets von der Weisheit ihrer Zeit entlehnt. Die großen Weisen aber

sind selten veranlaßt, durch bestimmendes Handeln in den Lauf der Welt ein-

zugreifen. Platon dagegen fordert, daß der Weise selbst den Staat lenke. (Bei

Leibniz schlug dies zum Schaden seiner Weisheitslehre aus.)

1

Zusatz über Handeln und Sittlichkeit

Mit dem handelnden Leben wird seit Aristoteles und Kant die Sittlichkeit

ausschließlich in Verbindung gebracht. Das ist aber unhaltbar. Die Sittlichkeit

besteht in dem Streben nach Vollkommenheit auf a l l e n Gebieten des Geistes,

sei es des übersinnlichen, sei es des Gezweiungsbewußtseins, des schauenden und

verarbeitenden sowie auch des sinnlichen Bewußtseins. Liebe und Treue in der

Gezweiung, Wahrhaftigkeit im Denken, Lebenstiefe und Schönheit in der Kunst,

richtige Lebensführung im Sinnlichen sind doch zweifellos sittliche Forderungen.

Aber sie gehören wesentlich dem Innern des Menschen an, nicht nur dem Han-

deln.

An jener engen Verbindung von Handeln und Sittlichkeit ist jedoch insofern

eine Wahrheit, als im Handeln ja die Gesamtsumme des geistigen und sinnlichen

Lebens gezogen wird und daher die Vollkommenheitsbestrebungen aller dieser

Gebiete schließlich im Handeln — wenn auch allerdings nur vermittelt — zum

Ausdrucke kommen

2

.

/

Die kurze Behandlung dieses wichtigen Abschnittes möge durch die späteren

Ergänzungen entschuldigt werden: Uber W i l l e n s f r e i h e i t siehe Rückver-

bundenheitslehre; über das V e r h ä l t n i s d e s W i l l e n s z u G e f ü h l

u n d V o r s t e l l u n g siehe auch unten S. 215 ff.; über A l t r u i s m u s siehe

oben S. 56; W i l l e u n d G e m ü t siehe oben S. 50; über H a n d e l n u n d

S i t t l i c h k e i t siehe unten S. 133 ff.; über die B e d e u t u n g d e r A r b e i t

siehe meine Schrift „Fluch und Segen der Wirtschaft“, Jena 1931; über E r z i e -

1

Vgl. dazu oben S. 110 f., ferner meine Gesellschaftslehre, 3. Auf!., Leipzig

1930, S. 263 ff.; Gesellschaftsphilosophie, München 1928, S. 91 ff. und 148 ff.;

Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 134 ff. und 159 ff.

2

Eine weitere Behandlung erfährt das sittliche Bewußtsein unten S. 133 ff.,

176 und öfter.

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