116
[128/129]
bleibt er ein Dunkles und Mächtiges, das zumeist erst in seinen Aus-
wirkungen zu erkennen ist. Im Instinkte haben wir ein Vorbewuß-
tes allgemeinster, noch ins Leiblich-Naturhafte versenkter Art vor
uns, daher er am besten als ein Untersinnliches zu bezeichnen ist.
Die herkömmliche Ansicht des Sensualismus, Instinkt und Trieb
seien „Reflexketten“, allenfalls „Begehrungen“ (niedere Form des
Willens), sinnliche Empfindung dagegen sei Vorstufe der Vorstel-
lung, gehöre also der Erkenntnis an, ist demnach zurückzuweisen.
Sofern der Sensualismus Instinkt und Trieb als Begehrung erklärt,
muß er die „Gefühle“, „Affekte“ der Begehrung doch wieder als
„Lust- und Unlustgewichte“ ihrer Vorstellungen fassen, wodurch
allein der Wille in Gang gesetzt würde. Sofern er Instinkt und
Trieb als Kette mechanischer „Reflexe“ faßt, ist an ihnen weder die
subjektive noch die gattungsmäßige Zweckmäßigkeit erklärt. Was
wäre z. B. der sogenannte Erhaltungstrieb oder Erhaltungsinstinkt
des Einzelnen, wenn er nicht zugleich von der Gattung ausginge? —
doch nicht mehr als Zufall. In Wahrheit ist er aber nicht zufällig,
auch nicht nur nach außen hin kämpfend, sich selbst behauptend,
sondern vielmehr nach innen hin aufbauend.
/
Als das Entscheidende erachten wir: daß o h n e d a s U n t e r -
s i n n 1 i c h - V o r b e w u ß t e e i n e s i n n l i c h e
E m p f i n d u n g u n m ö g l i c h w ä r e . Das zeigt sich daran, daß
allgemeiner Lebensdrang (Lebensinstinkt), Hunger, Geschmack, Geruch
ineinander übergehen; zum Teil auch Hunger, Lebensgefühl, Tast-
und Wärmeempfindung, ferner auch Körpergefühle der Gesundheit
und Krankheit, des Lachens und Weinens. Daraus ist aber die be-
deutsame Folgerung zu ziehen: daß der Instinkt das Allgemeinere,
Trieb und Sinnesempfindung das Besondere sei. Der Naturdrang
oder Instinkt ist die Vorstufe für die gesamten bewußten Sinnes-
empfindungen, und zwar ebenso für die äußeren wie für die inneren.
Wir haben hier einen weittragenden Satz vor uns. Die „Erfah-
rungsseelenlehre“ mit ihrem Sensualismus ist über diesen ent-
scheidenden Tatbestand, der doch nur einfache Erfahrung aufdeckt,
hinweggegangen. Warum? — weil ihr die Begriffsmittel fehlten, ihn
zu erfassen! Vor allem kann sie das Gattungsmäßige, die über-
höhende Ganzheit, nicht wirklich anerkennen. Das verbietet ihr
die mechanistische Auffassung. Naturdrang weist in Wahrheit auf
Ganzheit, auf Enthaltensein des Einzelwesens in der Gattung hin.