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sind darnach nur als die ausgezeichnetsten Unterscheidungen oder

Glieder des Allsinnes zu bezeichnen. Jeder, der sich selbst zu beob-

achten versteht, findet denn auch viele Sinnesempfindungen in seiner

Erfahrung von nur schwer bestimmbaren Übergängen. Zum Beispiel

ist „rauh“ oder „ätzend“ weder eine Druck- noch eine Stichemp-

findung, sie wäre nur vergleichsweise arteigen; auch elektrische und

magnetische Spannungsempfindungen gibt es, sie sind aber in ihrer

Natur schwer zu bestimmen, weil nicht oder nur vergleichsweise

arteigen; ebenso sind viele verschiedene innere Organempfindungen

nicht arteigen. Endlich können auch die unleugbar vorhandenen

Empfindungen körperlicher „Anziehung“ oder „Abstoßung“ (Sym-

pathie und Antipathie) — wofür sofort Beispiele folgen

1

— den

scharf unterscheidbaren Sinnesempfindungen wie Gesicht und Gehör

nicht gleichgestellt werden und sind nur verhältnismäßig arteigen.

Alle Sinne sind Äste eines Stammes. Ihre gegenseitige Verbunden-

heit und Erhellung untereinander sowohl wie mit Trieb und In-

stinkt wird von diesem Gesichtspunkte aus verständlich. Bezeich-

nend sind dafür die Zeugnisse der „Seherin von Prevorst“ und

Kaspar Hausers. „Bei dem lange von der Außenwelt abgeschlossenen

Kaspar Hauser“, sagt Perty, „bewirkte in den ersten Monaten, nach-

dem er ihr wiedergegeben war, der Geist der Steine, Metalle und

Pflanzen ähnliche Gefühle und Erschütterungen wie bei der Frau

Hauffe [der Seherin von Prevorst]. Von Metallen fühlte er ein

besonderes Ausströmen, Tabakfelder waren ihm unerträglich, die

Nähe eines Kirchhofes erregte ihm Brustschmerzen, ein Tropfen

Fleisch- / brühe Fieber. Den Einfluß mancher Menschen, besonders

starker Männer, fühlte er als in ihn tretenden Strom mit Kalt-

werden, kaltem Schweiß und Zuckungen; Schallschwingungen schei-

nen bei ihm wie bei jener Magnetischen [der Seherin von Prevorst]

noch länger nachgeklungen zu haben als bei anderen Menschen, da-

her sein Lauschen, nachdem die letzten Töne einer Musik schon

vorüber waren

2

.“

Weitere Beispiele entnehmen wir Kerners berühmtem Buche „Die Seherin

von Prevorst“, das folgenden Bericht Gotthilf Heinrich Schuberts anführt:

„ . . . Bergkristall, auf die Herzgrube [der Seherin] gelegt, bewirkte ein gänzliches

1

Siehe unten S. 121.

2

Maximilian Perty: Die mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur,

2. Aufl., Leipzig 1872, S. 30 f.