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Wem diese Folgerungen zu weit gehen, der bedenke, daß die ein-

zige andere Möglichkeit darin bestünde, die Sinnesempfindung

materialistisch zu erklären. Da aber die körperlichen Vorgänge der

Sinnesorgane, in einem chemischen Bottich nachgebildet, niemals die

Empfindungen „Licht“, „Klang“, „Duft“ hervorbringen, was folgt

daraus? Nichts anderes, als daß die Empfindung etwas Ursprüng-

liches sei. Möge sie noch so eng an jene stofflichen Vorbedingungen

gebunden sein — was nicht einmal unbedingt zutrifft, wie Kaspar

Hauser, die Seherin von Prevorst, hypnotische Überempfindlichkeit,

Hellsehen und ähnliches beweisen

1

, so ist sie doch mit ihnen keines-

falls einerlei. Daher gehört die Empfindung ebenso einer arteige-

nen Stufe des geistigen Lebens an wie das Denken oder Gestalten.

Die Empfindung ist an sich etwas Unmittelbares. Und sie ist mit

ihrer Unmittelbarkeit erschöpft. Daraus wird verständlich: daß

E m p f i n d u n g e i n e r a r t e i g e n e n V e r a r b e i t u n g i n

s i c h s e l b s t n i c h t f ä h i g s e i ! Annahme und Verarbei-

tung der Empfindung gibt es nicht in der Ebene des Empfindens

selbst. Soweit es Annahme und Verarbeitung der Empfindung gibt,

gehören sie höheren Geistestätigkeiten an. Demnach hat das zer-

legende Denken und das durchgestaltende Bilden, welches wir in

Wissen und Kunst antrafen, auf der Ebene der sinnlichen Emp-

findung keine Entsprechung. Die Sinnesempfindung an sich bleibt

in ihrer Unmittelbarkeit beschlossen, sie kann in sich selbst keine

Verarbeitung, Fortgliederung finden.

/

Die äußeren Sinnesempfindungen stehen in ihrer Unmittelbarkeit

als niederes oder s i n n l i c h e s S c h a u e n jener Unmittelbar-

keit, welche die Eingebung an sich hat, dem höheren oder geistigen

Schauen gegenüber. Daher kann die Empfindung auch als n i e d e r e

E i n g e b u n g bezeichnet werden. Dies liegt offen zutage, wird

sich aber in späteren Zusammenhängen noch weiter erweisen.

Hier stoßen wir abermals auf die für das Verständnis der Sinnes-

empfindung unentbehrliche Einsicht in die R o l l e d e r h ö h e -

r e n G e i s t e s t ä t i g k e i t e n dabei

2

. Da die einfachste Emp-

findung, z. B. die reine Sinnesempfindung „rot“ an sich nicht mög-

lich, das heißt völlig ungestaltet, also unbewußt, wäre, könnte sie

1

Vgl. unten S. 237 ff.

2

Vgl. oben S. 36.