[139/140]
125
vom Reiz allein abhängig, sondern vom sinnvollen Zusammen-
hange, in dem er erscheint, von der Gegenseitigkeit, von der
G l i e d h a f t i g k e i t
d e r
E m p f i n d u n g
i n
e i n e r
s i n n v o l l e n G a n z h e i t . Darum die bekannte Erscheinung,
daß den Sinnen einmal das Größere kleiner, das Wärmere kälter,
das Lautere leiser als das andere Mal erscheint und umgekehrt —
Versuche, mit denen die Sinnesphysiologie Aufhebens macht, als
ob sich das nicht aus der vielfachen und wechselnden Gliedhaftigkeit
der Sinnesempfindungen von selbst verstände. Ebensowenig wie
eine einzelne Vorstellung für sich besteht und erst hinterdrein sich
verbindet
1
, ebensowenig besteht eine einzelne Empfindung für
sich, welche sich hinterdrein mit anderen Empfindungen verbände.
Daher ist aber auch die einzelne Empfindung nicht zuerst da und
wird nachträglich mit einer anderen „verglichen“. Die sogenannte
„Beziehungserfassung“, Vergleichung und so weiter ist also grund-
sätzlich nichts Nachträgliches. Stets kann die „Erfassung“ der Emp-
findung, ihre Bestimmung — z. B. als größer oder kleiner, heftiger
oder schwächer — e r s t a u s d e r G l i e d h a f t i g k e i t h e r -
a u s erfolgen, in der sie erscheint, aus dem Empfindungs- und
Geisteszusammenhange heraus. E i n e u n g l i e d h a f t e E m p -
f i n d u n g g i b t e s n i c h t . Daß diese inhaltliche Bestimmung
der Empfindung freilich nicht reine Willkür sein könne, sondern
an überindividuelle Bedingungen und Gesetze (also auch an die
äußeren Reize und die leiblichen Geschehnisse) mit gebunden sei, ist
selbstverständlich.
Es ist von entscheidender Bedeutung, die Unrichtigkeit jedes
Atomismus der Empfindung einzusehen. Denn ist die Empfindung
einzeln für sich nichts, so ist auch die eindeutige Bindung an den
Reiz ausgeschlossen — aller Mechanismus, aller Ma- / terialismus
der Empfindungslehre ist damit unhaltbar geworden. Daraus folgt
auch, daß das W e b e r - F e c h n e r i s c h e G e s e t z nicht richtig
sei, ebensowenig das G o s s e n s c h e G e s e t z , eine Erörterung,
die uns jedoch abseits führen würde
2
.
1
Siehe oben S. 75 ff.
2
Vgl. mein Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre: Tote und lebendige Wissen-
schaft, 4. Aufl., Jena 1935, S. 158 ff.