Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6289 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6289 / 9133 Next Page
Page Background

[150/151]

135

Wenn wir von „vervollkommnendem Bewußtsein“ oder „sitt-

lichem Bewußtsein“ sprechen, so bedeutet das, wie betont, nur

eine Zusammenfassung. Denn da dieses Bewußtsein ja nicht eine

eigene Stufe bildet, sondern sich auf allen Stufen regt, gibt es ein

vervollkommnendes Sollen, ein Gewissen jeder Stufe. Die E i n -

h e i t d i e s e r v i e l e n T e i l g e w i s s e n h a t k e i n e i g e -

n e s O r g a n . Es ist nur in der Einheit des Gesamtbewußtseins,

des Ich überhaupt, verankert.

Erst wenn man diese Tatsache festhält, versteht man viele Charak-

tere, welche in manchen Gebieten waches Vervollkomm- / nungs-

streben, rege „Gewissenhaftigkeit“ zeigen, in anderen Gebieten

wieder kaum ahnen, daß Vervollkommnungsaufgaben ihrer harren,

also in diesen Gebieten ihr Gewissen überhaupt kaum noch erweckt

haben. Viele Menschen sind z. B. im Handeln rechtlich und tüch-

tig, auch in der Gezweiung in ihrer Weise von liebevoller Beflissen-

heit, aber die Frage, ob sie nicht auch ihr Denken vertiefen, ihre

Gestaltungskraft erweitern sollen, kommt ihnen kaum in den Sinn.

Das denkerische und künstlerische Gewissen fehlt ihnen. Dies führt

uns auf den Begriff des S t u f e n b a u e s d e r V e r v o l l -

k o m m'n u n g e n. Im Stufenbaue der Vervollkommnungen gilt

der wichtige Satz: Die Vervollkommnung jeder Bewußtseinsstufe ist

eine zweifache, erstens im Hinblicke auf sie selbst und zweitens im

Hinblicke auf die jeweils höhere Bewußtseinsstufe. Zum Beispiel

kann Wollen und Handeln oder das künstlerische Gestalten einmal

für sich selbst geübt und ausgebildet werden, zum andern aber mit

Beziehung auf unsere Erkenntnisse, also auf die vorgeordnete Stufe

des Wissens. Und der Verstand hat wieder keinen Wert ohne Liebe

(Gezweiungsbewußtsein), diese wieder nicht ohne den metaphysi-

schen Grund. Jede Vervollkommnung einer Stufe weist daher auf

die der höheren Stufe zurück. Daraus folgt aber: daß a l l e

e c h t e V e r v o l l k o m m n u n g z u l e t z t n u r d u r c h

i h r e V e r w u r z e l u n g i n d e r h ö c h s t e n G e i s t e s -

s t u f e ,

d e m

M e t a p h y s i s c h - R e l i g i ö s e n ,

v o l l -

e n d e t w e r d e n k ö n n e . Weder Wahrheit noch Schönheit

noch Gerechtigkeit sind ohne Hinwendung zu Gott möglich, ge-

schweige denn, daß der Mensch ohne sie Vollendung und Erwek-

kung erreichen könnte.