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keine Vollständigkeit an, sondern heben nur dasjenige hervor, was
für das Grundsätzliche am lehrreichsten ist, nämlich Spiritualismus,
Materialismus, Parallelismus, Okkasionalismus, Wechselwirkung,
Identitätslehre, Gezweiung höherer Ordnung.
1.
Der reine Spiritualismus und der reine Materialismus
Der erstere erkennt dem Leibe gar keine Bedeutung zu und geht
damit an der Tatsache vorüber, daß der Mensch nicht als reiner
Geist, sondern in einem Leibe erscheint. Der letztere geht in seiner
Weise noch weiter, indem er den Geist leugnet und nur körperliche
Vorgänge anerkennt, deren Ausflüsse und Folgen die geistig-seeli-
schen Erscheinungen wären.
Beide Lehrbegriffe widersprechen so sehr den Tatsachen, daß zu
ihrer Widerlegung kein weiteres Wort nötig ist.
2.
Die Lehre vom Parallelismus
Der Grundgedanke dieser bei Spinoza auftretenden, in der sensua-
listischen Seelenlehre herrschenden Lehre ist, daß die leiblichen
Geschehnisse und die geistigen Geschehnisse je selbständig neben-
einander hergehen, einander parallel sind. Diese Lehre hat den Vor-
teil, daß sie die Artunterschiede des Geistigen und des Körperlichen
anerkennt, aber sie ist widerspruchsvoll und erklärt die Wirklich-
keit nicht.
a) Die Gleichläufigkeit zweier unabhängig nebeneinander her-
gehender Reihen ist in der Erfahrung nicht beweisbar. Es ist kei-
neswegs eine bewiesene Tatsache, daß allen geistigen Vorgängen im
Menschen auch körperliche Vorgänge zugeordnet seien. Eher darf
das Gegenteil als bewiesen gelten. Außerordentliche Geisteszustände,
wie Hypnose, Hellsehen, Fernsehen, Fernwirken
1
und die hohen
mystischen Zustände der Verzückung (Ekstase), sind jedenfalls nicht
in gleichem Maße an körperliche Vorgänge gebunden wie das ge-
wöhnliche Bewußtsein. Aber auch bei diesem ist die eindeutige
Zuordnung so unklar und strittig, daß gerade die gewissenhafteren
Seelen- / forscher zur sogenannten Wechselwirkungslehre (die wir
unten besprechen werden) griffen.
1
Siehe oben S. 123 f. und 126.