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höheren sich spiegeln. A u s w i r k u n g (Gestaltwandel) des Hö-

heren im Niederen und R ü c k s p i e g e l u n g des Niederen im

Höheren sind Einheitserscheinungen des Geistes.

Der Geist des Menschen wirkt stets als Ganzes.

Und nicht nur die niederen Stufen des Geistes, sondern auch die

Leiblichkeit (freilich im Sinne einer neuen Ebene) und, abermals

von niederer Ebene her, die Außenwelt stehen im Verhältnisse

solcher Rückspiegelung zum Geiste.

Die ungeteilte Natur des Menschen tritt denn auch überall im

Leben zutage. Zuerst dort, wo der Einklang aller Anlagen und

Fähigkeiten die ursprüngliche Einheit des Geistes nicht stört, aber

auch überall dort, wo kräftige Ausbildung bestimmter Seiten des

menschlichen Wesens sich zeigt. Geprägte Gestalten, wie wir sie in

Faust, Parsifal (des Wolfram), Richard III., Romeo, Lear, Wallen-

stein, Prospero (aus Shakespeares / „Sturm“), im Armen Spiel-

mann, Taugenichts, in der Jungfrau von Orleans vor uns haben,

üben ihren Zauber nicht nur dadurch aus, daß sie in gewissen Schich-

ten des Geistes ungeheuere Ausgliederungskraft zeigen; sondern

noch mehr dadurch, daß sie bei aller Einseitigkeit einheitliche Natu-

ren sind, daß sie wie aus einem Gusse vor uns stehen, als Ganzes

wirken und a l l e V e r m ö g e n i n d e n D i e n s t d e s s t ä r k -

s t e n s t e l l e n . Sie sind einseitig, aber in ihrer Bestimmtheit

überwältigend.

Wo dagegen starke Widersprüche der Stufen und Teilganzen

auftreten, wo die Zerrissenheit zerstörend wirkt und dunkle Kräfte

aufbrechen läßt, dort ist kein Gegenstand der Kunst, die nach

Schönheit geht, sondern der Unkunst und Ohnmacht, die nur das

Häßliche und Gebrochene suchen kann. Dort beginnt das Gebiet

der g e i s t i g e n K r a n k h e i t , die überall nicht ohne Gegen-

strebigkeit der Glieder und jene Zersetzung ihrer Wechselseitigkeit,

die sie im Gefolge hat, denkbar ist.

Der Wahrheit nach müssen alle Einzelheiten des menschlichen

Seelenlebens stets im Lichte ihrer Gliedhaftigkeit, gemessen an der

Ausgliederungsordnung der Ganzheit, verstanden werden.

Wenn dagegen die naturwissenschaftlichen Seelenforscher die höheren Seelen-

zustände als „ k o m p l e x “ bezeichnen, so haben sie grundsätzlich unrecht. Die

höheren Seelenzustände sind nichts Zusammengesetztes, sondern ursprünglich und

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