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2. die jetzt noch verbleibenden Systeme ganz bestimmte Aufga-
ben haben müssen, denen die Leiblichkeit zu dienen hat; die aus
diesen Aufgaben, Zwecken aber ableitbar sein müssen.
/
Wir beschäftigen uns zunächst mit der ersten Folgerung, dem
Nervensystem. Dieses wird sowohl in seiner mittehaften Form, als
Gehirn, wie in seinen Umkreisen die Aufgabe der Lenkung aller
anderen Systeme haben, sei es nun in der Weise der Aufnahme oder
der Ausführung, der sogenannten Sensibilität und der Mobilität.
Das Nervensystem selbst empfindet aber nicht und bewegt auch
nicht, sondern der Geist selbst empfindet, ja er muß sogar, wie
nachgewiesen
1
, die höheren Geistestätigkeiten zu der bloßen Or-
ganempfindung hinzufügen, um die Empfindung zu einer bewuß-
ten (geistig gestalteten) zu machen. Ebensowenig bewegt das Ner-
vensystem selbst. Der Körper überhaupt bewegt sich so wenig, wie
ein chemischer Bottich sich bewegt, in ihm ist keine planmäßige
Bewegung. Die leibliche Bewegung ist eine geistige Tat, welche der
Geist allerdings ohne leibliches Werkzeug nicht durchführen kann.
Die Bewegung muß im Leibe geschehen, aber nur im belebten,
begeisteten Leibe.
Bekanntlich drängt die herkömmliche Auffassung, der sogar
Carus verfiel, dahin, das Nervensystem (nicht das Herz) als das dem
Geiste nächste aufzufassen
2
. Die genauere Prüfung lehrt aber, daß
das Nervensystem, gerade wenn es das dem Denken am nächsten
stehende Organ ist, nicht auch das lebenbegründende Organ sein
könne. Das leibliche Leben kann nur vom Blute und Herzen begrün-
det werden. Von da aus erst begreift man die leitende Stellung des
Nervensystems. Sie besteht, aber nur innerhalb einer vom Nerven-
system schon v o r a u s g e s e t z t e n M e h r h e i t von Organ-
systemen. Die / Stellung des Nervensystems ist aus dieser nach-
träglichen inneren Oberleitung zu erklären, nicht aber aus erster
Lebensnähe.
1
Siehe oben S. 127.
2
Siehe oben S. 186 f. Einen Vorrang kennt aber die naturwissenschaftliche
Seelenlehre grundsätzlich nicht. Richard Pauli (Psychologisches Praktikum, 3. Aufl.,
Jena 1923, S. 112) sagt z. B. einfach: „Die Atmung wird aufgenommen mittelst
eines Pneumographen, wobei der Versuchsperson Reizworte zugerufen werden“ —
als ob mit einer gelinden Seelenfolter der Geist, noch dazu ungefragt, schon zum
Reden gebracht werden könnte!