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Aber jenes Atmen, dessen Atmosphäre der Odem des Lebens ist, die Aura
vitalis, das vom Geiste ausströmende Lebenselement — dieses allein ist das
wahrhaft Beseelende und Beleihende, ohne welches der Mensch selbst nicht kör-
perlich würde und bestünde; kraft dessen er aber an sich lebt, geht ihm auch das
falsche Mittel von seiten der Welt aus und endet so sein Scheinleben in ihr!
Das Herz ist daher vorzugsweise Lebensorgan; das primum vivens, ultimum
moriens, in welchem sich Geburt und Tod selbst in jedem Augenblicke begeg-
nen und bekämpfen..., so wie seine Fortsetzungen, die Blutgefäße, gleichsam
die Entwürfe des gesamten Gliedbaues sind und die Wellen seiner Systole und
Diastole den völligen Kreislauf des irdischen Lebens bedingen.
Das Herz ist die Werkstätte des innigsten und erhabensten irdischen Lebens-
prozesses, Sanguifikation, Pulsation, Zirkulation, Respiration und so fort alles,
was Ihr in Euern gelehrten Lehrbüchern davon aufzuzählen wisset, sind nur
profane Zeichen seiner eigentlichen Tatkraft.
/
Zählet die Pulsschläge, polarisieret die Äderchen, messet ihre Durchmesser,
nehmt die Luft gefangen und zerlegt das Blut; — und Ihr steht noch nicht an
der Quelle des Heiligtums, da der höchste irdische Dienst vollbracht wird.
In was dieser Dienst bestehe? — läßt sich nun aber denen, welchen das Wirken
des Geistes und der Lebensgeist selbst ein Unding worden, nicht leicht ver-
künden.
Wer aber nicht geistlos je einen Blick in sein eigenes Wesen geworfen, dem
wird das Herz vorzugsweise als Organ des Geistes sich offenbaren und er wird
als die Funktion des Herzens die Begeisterung des irdischen Lebens anerkennen,
von welcher Funktion der Prozeß des Atemholens der unmittelbarste und ur-
sprünglichste Ausdruck, Sanguifikation aber und Zirkulation mit der Verwen-
dung des Blutes die Hauptzweige sind
1
.“
Der weiteren Ableitung der Organsysteme durch Troxler können wir leider
nicht folgen, da sie auf der Kreuzung zweier Gegensätze, also einer bestimmten
Anwendung des dialektischen Verfahrens beruhen. Troxler unterscheidet darnach
folgendes System:
1.
Geist: Herz und Atem;
2.
Körper, als das „System der Existenz“ dem Geiste gegenüberstehend, ins-
besondere durch Knochen und Zellengewebe bezeichnet;
3.
Seele: Ihr entspricht das Nervensystem als das „System der Reflexion“;
4.
Leib (Troxler versteht darunter wohl den geistigen Leib): Ihm entspricht
das Verdauungssystem (Stoffwechsel) samt dem Samen (Zeugung).
Bei dieser Gelegenheit sei auch eines zweiten Versuches, die
Organsysteme der menschlichen Leiblichkeit ableitend darzustellen,
gedacht, er findet sich bei dem Nachromantiker C a r l G u s t a v
C a r u s . Ihm ist dasjenige System, in welchem die Seele sich un-
mittelbar offenbart, das Nervensystem, der reine „Selbstzweck des
Seelenlebens“
2
. Hiezu treten ihm: die Sinnesorgane, sodann die
1
Ignaz Paul Vitalis Troxler: Blicke in das Wesen des Menschen, Stuttgart
1921, S. 91 und 93 f.
2
Carl Gustav Carus: Psyche, Zur Entwicklung der Geschichte der Seele, Pforz-
heim 1846, Neudruck Jena 1926, S. 37 ff. und 43.