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Gefühl und Wille keine Grundeinteilung begründen können, weil
sie keine einfachen Erscheinungen bezeichnen, vielmehr aufgelöst
werden müssen.
A. Die V o r s t e l l u n g
„Vorstellung“ ist die in der Wiedererinnerung (Reproduktion) auftretende
Erscheinung eines Gegenständlichen. Dieses Gegenständliche braucht, entgegen
der sensualistischen Behauptung, nicht aus Sinneseindrücken zu stammen. Es muß
z. B. nicht die Vorstellung eines Baumes sein, an den man sich erinnert, es kann
auch die Vorstellung der Regungen von Verehrung, Bewunderung, Liebe, Haß,
Klugheit sein, die jemand in der Erinnerung wachruft.
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Vorstellung ist noch nicht Denken. Denken ist auch nicht die nachträgliche
Verbindung von Vorstellungen, die vorher da waren. Alle diese Auffassungen
führen in die Assoziationslehre zurück, von der sie stammen. Denken ist vielmehr
die Verarbeitung einer Eingebung, indem der Eingebungsinhalt zum Gegenstande
gemacht und dadurch in einem B e g r i f f e erfaßt wird, wie wir so oft aus-
einandersetzten
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. Der I n h a l t des Begriffes muß Vorstellungen in sich fassen,
auch solche, die unmittelbar oder mittelbar von Sinneseindrücken herkommen;
aber das stets nur als Stoff (Material). Das heißt, die Eingebung kann sich aus
sinnlichen Eindrücken mit aufbauen, sie selbst ist aber etwas ganz anderes, ist
keine Summe sinnlicher Eindrücke oder deren Ableitungen. So auch der Begriff,
zu dem die Eingebung verarbeitet wird.
Vorstellung ist also nur ein Element des Denkens oder Wissens, nicht dieses
selbst. Und Vorstellung („Wissen“) ist auch nicht eines der drei Seelenvermögen,
sondern nur eine Stufe in der Ausgliederungsordnung des Geistes von ganz
bestimmter Vorrangstellung.
B . D a s G e f ü h l
Es liegt am Tage, daß das Gefühl weder in der Assoziationslehre, wo es sich
von der Lust- und Unlustbetontheit der ursprünglichen Eindrücke herleitet, also
seinem letzten Ursprung nach sensuell ist, noch auch in der K a n t i s c h e n
Lehre — wo es einem Seelenvermögen entspricht — eine befriedigende Erklärung
finden konnte. Gerade in der Kantischen Fassung ist es klar, daß die „Kritik der
Urteilskraft“ eigentlich etwas anderes als „Gefühle“ zusammenfaßt und viel mehr
das Gesollte, den Wert (der gerade nach Kant kein Gefühl ist) betrifft als das
Gefühl selbst. — Einen andern Versuch machte Franz B r e n t a n o , welcher
Vorstellung, Urteil und Gemütsbeziehung unterschied. Die letzteren, die Gemüts-
bewegungen, sollen „Liebe“ im Sinne von „Vorziehen“ und „Haß“ im Sinne
von „Nachsetzen“ sein. Richtig war dabei, die Vorstellung vom Denken, das
aber wieder einseitig als „Urteil“ gekennzeichnet ist, zu trennen. Wo soll aber
die „Gemütsbeziehung“ herkommen? Eigentlich ist es ja ein „Wille“, der im
„Vorziehen“ zum Ausdrucke kommt. Er ist weder vom Gefühl noch vom Werte
— dem Gesollten, das vorgezogen wird — klar unterschieden. Diese Lehre fand
mit Recht keinen Anklang. Ein jüngster Versuch liegt in der C o r n e l i u s -
K r u e g e r i s c h e n Gefühlstheorie vor, wonach Gefühle die „Komplexquali-
täten“ des Gesamtbewußtseins sein sollen. Würde von hier aus ernsthaft eine
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Siehe oben S. 72 ff.