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Einteilung der Gefühle versucht werden — wovon anders müßte sie äusgehen
als von der Ausgliederungsordnung, / der Gesamtganzheit des Geistes? Würde sich
diese Lehre an die Denkaufgabe der Ausgliederungsordnung heranmachen, dann
würde sie aber finden, daß in der Gezweiung der Herd des Gemütes beschlossen
liege. Die Gesamtheit des Geistes (fälschlicherweise „Komplex“ genannt) hat
aber wahrlich andere, höhere Qualitäten als nur Gefühle. Wollte man schon in
dieser Sprache sprechen, so müßte man eher sagen, daß die Komplexqualität des
Gesamtbewußtseins: Selbstbewußtheit, Ichheit, Einheit sei. Für „Gefühle“ ist da
kein Platz mehr.
In Wahrheit ist mit dem Begriffe des Gefühles nichts anzufangen. Er ist nur
ein S a m m e l n a m e , der vielerlei umfaßt und darum aufgespalten werden
muß. Als ungenauer Sammelname kann er allerdings Dienste leisten. Wir stoßen
auf das, was oft „Gefühl“ genannt wird, zuerst bei jenem Unmittelbaren, das
im übersinnlichen Bewußtsein, in Glaube und Andacht enthalten ist (Glaubens-
Gefühl“, siehe Schleiermacher: „Gefühl“ der Abhängigkeit); ebenso auf das „Ge-
fühl“ der Liebe oder des Hasses im Gezweiungsbewußtsein, wieder ein Unmittel-
bares, das von anderer Art als jenes der Andacht ist. Und dennoch sollen beide
„Gefühl“ heißen? Ebenso soll es ein Wahrheits-„Gefühl“ und ein Schönheits-
„Gefühl“ geben? Offenbar ist damit das Unmittelbare jener Eingebung, die dem
Begriffe, das Unmittelbare jener Eingebung, die der künstlerischen Gestalt zu-
grunde liegt, gemeint. Das Unmittelbare des Wollens und Handelns sodann,
welches allerdings nur abgeleiteterweise darin zu finden ist und das wir als
Begeisterung bezeichneten, soll wieder ein „Gefühl“, ein „Gefühl“ der Begei-
sterung, sein? Das Unmittelbare der inneren und äußeren Sinnlichkeit endlich
soll ebenfalls als „Gefühl“, vornehmlich der sinnlichen Lust und Unlust, bestimmt
werden? Die Unmittelbarkeit des E r l e b n i s s e s überhaupt ist es also, was
„Gefühl“ eigentlich meint.
Wie sehr das „Gefühl“ ein bloßer Sammelname ist, zeigt sich auch, wenn
man die Vorgänge auf den einzelnen Bewußtseinsstufen in ihrem sinnvollen
G e l i n g e n o d e r M i ß l i n g e n betrachtet. Das Gelingen von Gezweiun-
gen, schöpferischem und verarbeitendem Erkennen und Gestalten, des Handelns,
der Sinnlichkeit wird überall Stärkung, Wohlbefinden, Glück bedeuten; das Miß-
lingen aber und Fehlschlagen Schwächung, Enttäuschung, Unmut oder Bestür-
zung, Panik, Verzweiflung oder Ungeduld, Zorn (Hader). In der Gezweiung
wird das Gelingen die Liebe stärken, in der Wissenschaft das wissenschaftliche
Können, den Wahrheitssinn, in der Kunst den Schönheitssinn, in Wollen und
Handeln dasjenige, was im weitesten Sinne als Kraft im politischen und techni-
schen Sinne zu bezeichnen ist. Überall ist das Bewußtsein erhöhten Könnens
erwedct, / daher überall das Selbstvertrauen gestärkt. Im Falle des Mißlingens
findet überall das Gegenteil statt, sei es unter plötzlichen Spannungen und Er-
schütterungen (Bestürzung, Zorn) oder in langsamerem Verlaufe (Entmutigung,
Schwermut).
Vorgänge
desselben
Bewegungsgefüges
(derselben
dynamischen
Struktur) zeigen sich daher zwar überall, aber überall in einem anderen Bezuge,
nämlich auf einer Ebene der betreffenden Bewußtseinsstufe. Auf jeder Stufe ist
es also ein arteigener, durch das Sinnvolle seiner gliedhaften Zusammenhänge
bezeichneter Vorgang, um den es sich handelt. Will man das E r f o l g r e i c h e
o d e r E r f o l g l o s e , d a s B e j a h e n d e u n d V e r n e i n e n d e dabei
überall „Gefühl“ nennen, dann wäre „Gefühl“ einfach eine Erfolgskategorie.
„Gefühl“ heißt schließlich, noch weiter verallgemeinert, nicht mehr als „Be-
wußtseins“-Vorgang überhaupt, z. B. indem man statt „Kraftbewußtsein“ auch
„Kraftgefühl“ sagen kann.