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1. Schwache Eingebung, aber starke Verarbeitung
Freilich bietet die Schwäche in der Eingebung ein verschiedenes
Bild, je nachdem die Verarbeitung ebenfalls eine Schwäche zeigt
oder ihrerseits kräftig einsetzt. Im letzteren Falle kann sie / den
geringeren Schatz von Eingebung nicht nur sorgfältig, sondern
überkräftig bearbeiten. Da jedoch die Eingebung das Vorgeord-
nete ist, kann auch die eifrigste Verarbeitung den Mangel der
Eingebung nicht mehr wirklich gutmachen.
Die Bilder des k a l t e n E i f e r s , welche uns das neuzeitliche
Leben überall zeigt, entstehen aus diesem Widerspruche. Der
Frömmler, dem es nicht an religiösem Eifer, aber an Tiefe und
Echtheit der Eingebung gebricht; der Gemütsarme, aber Gemein-
schaftsbeflissene, etwa im Stile des Vereinsmeiers, der Fürsorge-
tante und des Gesellschaftsmenschen — Leute mit wenig Herz,
aber viel Beflissenheit, je in ihrer Weise; der Stubengelehrte, dem
es nicht an Fleiß, aber an Einfällen, an Lebendigkeit der Gedanken
fehlt (Famulus Wagner) und eng verwandt der Sophist und Be-
griffspalter, der Scharfsinnige (Scharfsinn ohne Tiefsinn); ähnlich
der Könner, der kein Künstler ist, der es also zwar zum geschickten
Techniker bringt, aber zur inneren Schau seiner Gestalten nicht
gelangt; der geschäftige Mensch, insbesondere der geschäftige Poli-
tiker, ferner der unselbständige aber „brave Beamte“, der fleißige,
aber überall unselbständige Arbeiter, sie füllen ja überall die Mitte
des Lebens aus und sind die bekanntesten Gestalten der Durch-
schnittswelt. Der R a t i o n a l i s m u s in der Theologie, Philo-
sophie und Wissenschaft; der Naturalismus und die Stilmengerei
in der Kunst (die wir schon erwähnten), die l e e r e G e s c h ä f -
t i g k e i t einerseits und der innerlich unbeteiligte, aber pflicht-
bewußte Diener in Staat und Wirtschaft, der Söldling im Kriegs-
wesen — das sind die Hauptformen, welche entstehen, wenn auf
eingebungsarmen Grund eine fleißige, eifrige Verarbeitung auf-
gesetzt wird.
2.
Schwäche der Verarbeitung
Die Schwäche der Verarbeitung bietet im allgemeinen das Bild
schwacher Selbstsetzung, also des Gegenteiles der oben / gekenn-
zeichneten kräftigen Selbstsetzung. Ist diese Fleiß und Seelenstärke,