Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6386 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6386 / 9133 Next Page
Page Background

232

[259/260/261]

gebildeter und neuverbundener Ideen. Ich theoretisierte; ich glaubte, Entdeckun-

gen zu machen ... Wie mein voriger Gemütszustand zurückgekehrt war, fühlte

ich einen Trieb, die Entdeckungen... anderen mitzuteilen. Ich bemühte mich,

meine Ge- / danken zurückzurufen, aber sie waren dunkel und undeutlich;

eine Reihe von Ausdrücken bot sich mir jedoch von selbst dar, und voll innigen

Glaubens und gleichsam wie weissagend rief ich meinem Freunde Kinglake zu:

Nur Gedanken haben Dasein …

1

W i l l i a m J a m e s , der Begründer des von Materialismus wahrlich nicht

weit entfernten „Pragmatismus“

2

, erzählt von sich selbst: „Vor einigen Jahren

habe ich selbst einige Beobachtungen über die Wirkung von Lachgas-Betäubun-

gen gemacht. Dabei drängte sich mir ein Urteil auf, d e s s e n R i c h t i g k e i t

m i r b i s h e u t e u n e r s c h ü t t e r t g e b l i e b e n i s t . Nämlich dies, daß

unser normales, waches Bewußtsein — unser rationales Bewußtsein, wie wir es

nennen können — nur eine bestimmte Art von Bewußtsein ist, und daß um dasselbe

herum potentielle Bewußtseinsformen liegen, die ganz andersartig und von ihm

nur durch ganz dünne Wände geschieden sind. Wir können durchs Leben gehen,

ohne ihr Dasein zu ahnen; indessen, wenn nur das nötige Reizmittel angewendet

wird, so zeigen sie sich bei der leisesten Berührung in voller Deutlichkeit: be-

stimmte Formen geistigen Lebens, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine — uns

freilich entzogene — Bedeutung und Wirkungssphäre haben. Keine Gesamtwelt-

anschauung kann eine abschließende sein, die diese anderen Bewußtseinsformen

ganz unberücksichtigt l ä ß t . . . Blicke ich auf meine eigenen Erfahrungen zurück,

so bieten sie in ihrer Gesamtheit eine Art Einsicht, der ich eine metaphysische

Bedeutung zuschreiben muß ... Es ist, als wenn die Gegensätze der Welt, deren

Widersprüche ... uns so viele Schwierigkeiten ... verursachen, alle zu einer Ein-

heit zusammengeschmolzen wären. Sie gehören nicht nur als verschiedene Arten

zu ein und derselben Gattung; sondern e i n e d e r b e i d e n A r t e n , u n d

z w a r d i e h ö h e r e u n d b e s s e r e , i s t s e l b s t d i e G a t t u n g u n d

z e h r t d i e a n d e r e v ö l l i g a u f . . . Ich habe das Gefühl, [der Sinn

dieses Ausspruchs] müsse etwa das bedeuten, was letztlich die Philosophie Hegels

sagen will.“ Und in einer Anmerkung fügt er hinzu: Die Hegelische Philosophie

„von einem vollkommenen Wesen, das alle anderen in sich aufgesogen hat [das

Absolute] “ sei „durch das Hineinragen ähnlicher mystischer Stimmungen in

[Hegels] Bewußtsein zu erklären... Die Aufgabe [den dialektischen Lehr-

begriff] ... deutlich zu machen, empfing Hegels Intellekt sicherlich von dem

mystischen Gefühl

3

“.

/

Dem ganzheitlichen Verfahren ist die Erklärung solcher hoher

Zustände nicht unerschwinglich. Jede Ganzheit birgt einen letzten

unoffenbaren Grund, das „Ganze als solches“

4

. Und in dieses (und

dessen letzten Rückverbindungsgrund) können die Glieder aufge-

hoben, verzückt werden. Die Erklärung liegt demnach zuletzt in

dem Satze „Das Ganze ist vor dem Teile“. Wenn nämlich das

1

Entnommen aus Harald K. Schjelderup: Psychologie, Berlin 1928, S. 303 f.

2

Siehe oben S. 73.

3

William James: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, deutsch

von Wobbermin, 2. Aufl., Berlin 1914, S. 311 f. (Hervorhebungen von mir.)

4

Siehe oben S. 19 ff.