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gebildeter und neuverbundener Ideen. Ich theoretisierte; ich glaubte, Entdeckun-
gen zu machen ... Wie mein voriger Gemütszustand zurückgekehrt war, fühlte
ich einen Trieb, die Entdeckungen... anderen mitzuteilen. Ich bemühte mich,
meine Ge- / danken zurückzurufen, aber sie waren dunkel und undeutlich;
eine Reihe von Ausdrücken bot sich mir jedoch von selbst dar, und voll innigen
Glaubens und gleichsam wie weissagend rief ich meinem Freunde Kinglake zu:
Nur Gedanken haben Dasein …
1
“
W i l l i a m J a m e s , der Begründer des von Materialismus wahrlich nicht
weit entfernten „Pragmatismus“
2
, erzählt von sich selbst: „Vor einigen Jahren
habe ich selbst einige Beobachtungen über die Wirkung von Lachgas-Betäubun-
gen gemacht. Dabei drängte sich mir ein Urteil auf, d e s s e n R i c h t i g k e i t
m i r b i s h e u t e u n e r s c h ü t t e r t g e b l i e b e n i s t . Nämlich dies, daß
unser normales, waches Bewußtsein — unser rationales Bewußtsein, wie wir es
nennen können — nur eine bestimmte Art von Bewußtsein ist, und daß um dasselbe
herum potentielle Bewußtseinsformen liegen, die ganz andersartig und von ihm
nur durch ganz dünne Wände geschieden sind. Wir können durchs Leben gehen,
ohne ihr Dasein zu ahnen; indessen, wenn nur das nötige Reizmittel angewendet
wird, so zeigen sie sich bei der leisesten Berührung in voller Deutlichkeit: be-
stimmte Formen geistigen Lebens, die aller Wahrscheinlichkeit nach eine — uns
freilich entzogene — Bedeutung und Wirkungssphäre haben. Keine Gesamtwelt-
anschauung kann eine abschließende sein, die diese anderen Bewußtseinsformen
ganz unberücksichtigt l ä ß t . . . Blicke ich auf meine eigenen Erfahrungen zurück,
so bieten sie in ihrer Gesamtheit eine Art Einsicht, der ich eine metaphysische
Bedeutung zuschreiben muß ... Es ist, als wenn die Gegensätze der Welt, deren
Widersprüche ... uns so viele Schwierigkeiten ... verursachen, alle zu einer Ein-
heit zusammengeschmolzen wären. Sie gehören nicht nur als verschiedene Arten
zu ein und derselben Gattung; sondern e i n e d e r b e i d e n A r t e n , u n d
z w a r d i e h ö h e r e u n d b e s s e r e , i s t s e l b s t d i e G a t t u n g u n d
z e h r t d i e a n d e r e v ö l l i g a u f . . . Ich habe das Gefühl, [der Sinn
dieses Ausspruchs] müsse etwa das bedeuten, was letztlich die Philosophie Hegels
sagen will.“ Und in einer Anmerkung fügt er hinzu: Die Hegelische Philosophie
„von einem vollkommenen Wesen, das alle anderen in sich aufgesogen hat [das
Absolute] “ sei „durch das Hineinragen ähnlicher mystischer Stimmungen in
[Hegels] Bewußtsein zu erklären... Die Aufgabe [den dialektischen Lehr-
begriff] ... deutlich zu machen, empfing Hegels Intellekt sicherlich von dem
mystischen Gefühl
3
“.
/
Dem ganzheitlichen Verfahren ist die Erklärung solcher hoher
Zustände nicht unerschwinglich. Jede Ganzheit birgt einen letzten
unoffenbaren Grund, das „Ganze als solches“
4
. Und in dieses (und
dessen letzten Rückverbindungsgrund) können die Glieder aufge-
hoben, verzückt werden. Die Erklärung liegt demnach zuletzt in
dem Satze „Das Ganze ist vor dem Teile“. Wenn nämlich das
1
Entnommen aus Harald K. Schjelderup: Psychologie, Berlin 1928, S. 303 f.
2
Siehe oben S. 73.
3
William James: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, deutsch
von Wobbermin, 2. Aufl., Berlin 1914, S. 311 f. (Hervorhebungen von mir.)
4
Siehe oben S. 19 ff.