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billigsten erfolgen kann
1
. Es ist der Grundsatz der Gewerbefreiheit
und Arbeitsteilung ins Weltwirtschaftliche übertragen. Haben aber
völkische und übervölkische Gewerbefreiheit und Arbeitsteilung
wirklich dieselbe Bedeutung? List hat dagegen richtig
a)
die wechselseitige Bedingtheit der Erzeugungszweige gestellt und
b)
verlangt, daß die produktiven Kräfte erst e r z o g e n werden. —
Die heutige Volkswirtschaftslehre urteilt über List nicht einheitlich.
a.
Die l i b e r a l e (individualistische) Schule ist freihändlerisch
und lehnt List ab
2
.
b.
Die g e s c h i c h t l i c h e u n d r e a l i s t i s c h e Schule pflegt
sich bis heute mit der gedankenlosen Formel zu helfen: daß die
Frage ob Freihandel oder Schutzzoll nicht allgemein, sondern nur
von Fall zu Fall gelöst werden könne — also bloßer Relativismus. /
c.
Vom u n i v e r s a l i s t i s c h e n Standpunkte des Verfassers
aus kann weder dieser geschichtliche Relativismus noch die Frei-
handelslehre gutgeheißen werden. Die Freihandelslehre wurde als
eine bloße Kostenvergleichslehre schon oben widerlegt
3
. Nicht auf
den Kostenvergleich, sondern auf die U m g l i e d e r u n g s f o l g e n
kommt es an, die aus der eigenen Erzeugung einer Ware in der
Volkswirtschaft entstehen.
Die Freihandelslehre erweist sich als eine Theorie, die trotz ihrer
Herrschaft in Wissenschaft und Politik in der geschichtlichen Praxis
nie ganz durchdringen konnte, weil sie durchaus w e s e n s w i d r i g
u n d w i r k l i c h k e i t s f r e m d i s t . Selbst der englische „Frei-
handel“ war nur ein scheinbarer und nur eine Episode. In Wahr-
heit beruhen die meisten überlegenen Großgewerbe nicht auf „na-
türlichen“ Bedingungen, sondern auf geschlechterlanger aufbauender
Arbeit, auf Entwicklung g e i s t i g e r Kapitalien, auf Heranbildung
eines geschulten Arbeiterstammes, einer wirksamen Absatzorgani-
sation und anderem mehr (man denke z. B. an deutsche Anilin-
farben, Zeiss-Werke, Siemens, Wiener Geschmacks-, englische Tex-
tilgewerbe). Die Geschichte gibt in jeder Hinsicht der Freihandels-
lehre unrecht.
1
Dies die Begründung Smiths, jene Ricardos siehe oben S. 100 f.
2
Siehe oben S. 100 f. und 111 f., unten S. 156.
3
Vgl. das Beispiel Ricardos von Wein und Tuch in Portugal und
England, oben S. 101.