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geschichtliche Methodik der Volkswirtschaftslehre darf man aber List
freilich nicht zuschreiben. Das ist allerdings keine Entschuldigung für
die beschämende Verständnislosigkeit, mit der die spätere geschichtliche
Schule, und die akademische Wissenschaft Deutschlands überhaupt, Lists
Werke aufnahm.
Die V e r w a n d t s c h a f t L i s t s m i t A d a m M ü l l e r ist zwar
dadurch gestört, daß List eine gewisse l i b e r a l - n a t u r r e c h t l i c h e
u n d z e n t r a l i s t i s c h e E i n s t e l l u n g nie ganz überwand und
auch die Philosophie des deutschen Idealismus nicht übernahm. Aber
der Gedanke Lists, daß es nicht auf die Tauschwerte, sondern auf die
g e i s t i g e n K r ä f t e als die Bedingungen der Werte, und auf die
organische Zusammensetzung des Ganzen, auf die Verhältnismäßigkeit
der Teile im Ganzen ankomme, war doch der tausendfach abgewandelte
Grundgedanke Adam Müllers! Auch den Formulierungen Lists nah-
verwandte Stellen finden sich bei Müller. So heißt es
1
vom Staats-
vermögen: es bestehe „keineswegs allein in den Erträgnissen des Staats-
eigentums und den ... Abgaben oder in dem Kapitalwert dieser Ein-
künfte; die gesamten Verteidigungskräfte der Menschen wie des Bodens,
Armeen, Festungen, Waffen, administrative Kunst des gesamten Zivil-
etats, ja die Verfassung, die Gesetze, Nationalerinnerungen sind Bestand-
teile des Staatsvermögens“ oder, wie List gesagt hatte, der Produktiv-
kraft
2
. List und Müller trafen sich wie im Widerstreit gegen Smith,
so auch im Aufbau ihrer eigenen Lehrgebäude. List hat eigentlich nur
Müllers Grundgedanken näher ausgeführt, hauptsächlich durch Darle-
gung der Fruchtbarkeit des Zusammenhanges der Gewerbezweige unter-
einander sowie desjenigen von Landwirtschaft und Gewerbe; denn den
allgemeinen theoretischen. Zusammenhang hatte schon Adam Müller
klargestellt. Allerdings zielt Adam Müller überall auf körperschaftliche,
im Persönlichen gegründete Verhältnisse unter Bevorzugung der Grund-
aristokratie ab, während List mehr auf die Ausbildung der modernen
Geldwirtschaft und Großgewerbe hinstrebt, ohne Bevorzugung der
Grundbesitzer, deren Belange er für die damaligen / Verhältnisse schon
durch die Erziehung eines marktnahen Großgewerbes gefördert sah.
Aber beide stimmen wieder in der Betonung des echt organischen und
romantischen G r u n d s a t z e s d e r D a u e r überein.
Von diesem engen Verhältnis beider, das heute verkannt wird, war
man denn auch damals, als ihre Wirksamkeit noch lebendig war, durch-
drungen. Zum Beispiel schreibt H i l d e b r a n d : „Man hat List mit
Burke verglichen, man hat ihn sogar einen ökonomischen Luther ge-
nannt, und man hat ihn andererseits für einen kenntnislosen Markt-
schreier erklärt, der das wenige Gute in seinen Schriften von Müller
1
Adam Müller: Versuche einer neuen Theorie des Geldes, Leipzig
und Altenburg 1816, herausgegeben von Helene Lieser (= Die Herd-
flamme 2), Jena 1922, S. 12.
2
Auch den Ausdruck „produktive Kraft“ gebrauchte Adam Müller
(vorher schon Soden), wie unter anderem die Anführung oben S. 124 f.
beweist.