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Wollen und Handeln allseitig geübt und gekräftigt werden, ebenso

wie sich die sinnliche Erfahrung weiter auszudehnen und zu ver-

feinern, vergeistigen vermag.

Dies wäre der ruhige, gleichmäßige Gang der Erziehung der

Jugend bis zur geistigen Reife, der Einklang aller Vermögen, wie er

als Ziel gefordert wird. Aber dazu kommt es so gut wie niemals.

Und das macht zugleich die Aufgabe der Erziehung so schwierig.

Der Grund ist, daß die Phasen 1—6 wohl bei keinem Menschen

einigermaßen gleichmäßig zur Abwicklung kommen.

a)

Ein erster Mangel, der sich so oft einstellt, ist die geringe Aus-

bildung des Gezweiungsbewußtseins. Viele Menschen müssen erst in

späterem Alter entdecken, daß sie keine Seele haben, und den Weg

von der Undine zum Menschen nachholen. Viele vermögen ihn

niemals zurückzulegen.

b)

Besser steht es schon mit dem Wissen. Wenigstens äußerlich,

begrifflich, ist eine reichere Entwicklung des Wissens verhältnismä-

ßig leicht erreichbar. Erst in späteren Entfaltungsphasen zeigt sich

der Mangel, daß die Eingebungsgrundlage des erlangten Wissens

nicht lebendig wurde. Da trennt sich der Famulus Wagner von

Faust. Alles, was man als bloßes „Schulwissen“, „unlebendiges Wis-

sen“, „Intellektualismus“ zu bezeichnen pflegt, gehört hierher.

Kommt es aber zu einer nachträglichen Eroberung der Eingebungs-

grundlage des erlernten Wissens, dann bewirkt das große Umwäl-

zungen im Innern des Menschen. Bei den wenigsten Menschen wird

dieses Ziel in höherem Maße erreicht.

c)

Noch mehr gilt das für das künstlerische Bewußtsein. Eine

gewisse äußerliche Stufe ist in der Jugend leicht erreichbar. / Tritt

aber später die hohe Kunst an den Geist heran, so vermag er sie

sich meistens nur äußerlich anzueignen. Die innere Erweckung der

Eingebungsgrundlage dieser Kunst gelingt noch wenigeren Men-

schen als in der Wissenschaft. Daher der fürchterliche Zustand

unseres öffentlichen Kunstlebens. Dieser Zustand ist wesentlich

schlechter als der des öffentlichen wissenschaftlichen Lebens. Die

volkstümliche und auch die akademische Wissenschaft verwässert

zwar, entfernt sich aber von der Eingebungsgrundlage selten so weit

wie alles, was heute Massenkunst ist (man denke an Operette und

Kino, die grundsätzlich Unkunst sind) oder auch was Kunst der