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ausgegliederte durchaus nicht genau im / selben Gesamtzusammen-

hange des Geistes erscheint, sondern in jenem Zusammenhange, der

durch den mittlerweile veränderten Zustand des Geistes gegeben

ist. Andrerseits gehört das Gedächtnis doch wieder nicht der Um-

gliederung, sondern der Bewahrung des Ausgegliederten an, inso-

fern es nämlich das Frühere erhält.

Die sensualistische und rationalistische Seelenlehre waren unfähig,

die Stellung des Gedächtnisses zu würdigen, da sie darin nur auf

mechanistische Weise eine „Reproduktion“ sahen, wie man wohl

mechanisch oder chemisch etwas wiederherstellt. Bei dieser „Repro-

duktion“ sollten dann Auswahlgrundsätze herrschen, die wieder me-

chanischer Art sein sollten, etwa nach der Intensität, den Lust- und

Unlustgewichten oder sonst einer „Auslese im Kampf ums Dasein“.

Die heutigen Richtungen erkennen eigentlich diese falsche „Repro-

duktions“-Lehre an, nur versuchen sie sie durch andere Zusammen-

hänge, z. B. den geordneten Denkzusammenhang, zu überhöhen.

Damit ist aber nichts erreicht.

Auch Aristoteles wird so verstanden, als habe er Gedächtnis und

(assoziative) Wiedererinnerung nur als eine Fortsetzung der Sin-

nestätigkeit betrachtet.

Erst Augustinus gibt dem Gedächtnis eine grundsätzliche Stel-

lung und Bedeutung. Er setzt es mit Recht der Selbstvergessenheit

entgegen und macht es zur Einheit der Vergangenheit und Gegen-

wart, zuletzt auch der Zukunft

1

. Unter den Neueren ging der

jüngere Fichte ähnliche Wege

2

.

Auch ganzheitlich betrachtet, ist das Gedächtnis nicht allein

Festhaltung und Wiederherstellung schon geschehener Ausgliede-

rungstaten, sondern darüber hinaus Einheit der Rückverbindung

in der Zeit, damit ist es Hauptgrundlage der Entfaltung des Ich,

der Persönlichkeit.

Da man nämlich alles, was je ausgegliedert wurde, nicht mehr in

Erinnerung rufen kann, weil diese ungeheure Menge von Stoff /

die Entfaltung des Ich hemmen würde, muß eine Auswahl getroffen

werden, was zu erneuern und zur Grundlage des geistigen und täti-

gen Lebens zu machen sei. Daher die zwei Leistungen: der W i e -

1

Vgl. oben S. 155 ff.

2

Immanuel Hermann Fichte: Psychologie, 3. Buch, Leipzig, §§ 189 und 217.

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