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verteilen. Weil die Macht des Menschen über die Natur wächst, muß
die Geltung des Arbeitsfaktors steigen.
Es ergibt sich für Carey folgendes V e r t e i l u n g s g e s e t z : Der
Kapitalzins und die Grundrente müssen im Laufe der Entwicklung immer
mehr sinken, der Anteil der Arbeit am Reinertrage steigen. Anders ge-
sagt: Die Grundrente und die übrige Kapitalrente fällt wegen der sich
immer mehr vermindernden Herstellungskosten der Bodenerzeugnisse.
Aber damit hat dennoch auch die Kapitalistenklasse Anteil an der Ent-
wicklung. Die Quote des Zinses wird zwar geringer, aber der absolute
Betrag nimmt zu, eben weil die Ergiebigkeit zugenommen hat. Die
sozialen Interessen befinden sich so in schönster Harmonie.
Diese Harmonie wird befestigt durch das „ G e s e t z d e r v e r h ä l t -
n i s m ä ß i g e n Z u n a h m e d e r N a h r u n g u n d B e v ö l k e r u n g “ .
Malthus habe fälschlich die Vermehrungsfunktion als eine konstante
Größe gesetzt. In Wahrheit gelte: Fruchtbarkeit und Entwicklungsstufe
stehen in umgekehrtem Verhältnis zueinander. „Die Geistes- und die
Zeugungskräfte des Menschen reifen gleichzeitig.“
1
Infolge der steigen-
den Fruchtbarkeit des Kapitals vermehren sich die Nahrungsmittel stär-
ker als die Menschen (Überkompensierung
2
).
Oncken hat nicht mit Unrecht Carey den ins Agrarische über-
tragenen L i s t genannt, da er bei gleichartigem Begriff des Reich-
tums dem Ackerbau, der durch Zölle zu schützen sei, die erste Stelle
unter den Erzeugungszweigen anweist. Der stete einträchtige Fort-
schritt aller Klassen ist für Carey an die Bedingung geknüpft, daß
alle mineralischen Bestandteile des Bodens schließlich wieder diesem
zugeführt werden, da sonst mit der Zeit eine gänzliche Erschöpfung
des Bodens einträte. „Es ist sonderbar“, sagt er im Anschlusse an
Justus Liebig, „daß die neuere Nationalökonomie die Tatsache gänz-
lich übersehen hat, daß der Mensch nur von der Erde borgt, und
daß diese, wenn er seine Schulden nicht zahlt [das heißt, den Dünger
nicht zurückgibt], wie andere Gläubiger verfährt und ihn von sei-
nem Besitz forttreibt.“ Dies kann nur geschehen, wenn Erzeuger
und Verbraucher, Landwirtschaft und Großgewerbe, beieinander
wohnen. Dies bedeutet außerdem die weltwirtschaftliche „ D e -
z e n t r a l i s a t i o n d e r E r z e u g u n g “ , die zugleich den Zwi-
schenhandel und die Frachtkosten vermindert.
Hieraus folgt nach Carey das „Schutzzollsystem im Sinne von
Colbert“; und ferner die Gemeinsamkeit der Interessen der Grund-
1
Henry Charles Carey: Lehrbuch der Volkswirtschaft und Sozial-
wissenschaft, Wien 1870, S. 588.
2
Vgl. oben S. 90 f.