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auch dann bestehen, wenn wir uns die sinnliche Erfahrung wesent-
lich erweitert, z. B. wenn wir uns ein elektrisches Organ dächten
und so weiter (wozu uns nicht ganz und gar alle Möglichkeiten der
Phantasie fehlen); zumal uns auch die leidlich geschlossenen Ebenen,
wie z. B. die Farbenwelt, die Tonwelt, keineswegs einen sinnvollen,
in sich gerundeten Gliederbau zeigen, noch ihrer Natur nach zeigen
können. Vielmehr tritt überall ein Ungestaltbares hervor — die
Fähigkeit, immer wieder erweitert zu werden. Wir können mehr
Lichtbeschaffenheiten (Farben), mehr Töne, Gerüche und so weiter
hinzudenken, wir können von der Empfindung selbst aus den Raum
ohne Begrenzung fortgehend denken und so weiter. Das Ungestal-
tete, Unbegrenzte, Maßlose, das „schlechte Unendliche“, das
„άπειρον“
lauert überall am Grunde der Natur. Die Ungeschlossenheit und
mangelhafte Gegliedertheit der Naturbeschaffenheiten deutet auf
Unganzheit. U n g a n z h e i t i s t G e b r o c h e n h e i t , i s t
T r ü b u n g , V e r f i n s t e r u n g . Die Unganzheit der Natur-
welt, in die wir rückverbunden sind, gemahnt uns wiederum, nicht
nur das Schöne, Gestaltete, Herrliche und Liebliche der Sinnenwelt
zu bedenken und sie nicht allein vom Verständigen aus begreifen
zu wollen. Die Natur ist auch eine dunkle Macht, die sich selbst
nicht völlig zu meistern und dem Fluche des Chaotisch-Ungestalten
nicht zu entgehen vermag. Sie ist dem Geiste Werkzeug und ver-
heißt ihm Macht. Zugleich zieht sie ihn aber in ihr Unvermögen
hinein, macht ihn ohnmächtig und schlägt ihn in die Fesseln eines
äußerlichen und tierischen Lebens.
Unsere frühere Ableitung der Sinnlichkeit konnte das Dunkel der
Knechtschaft des Geistes in äußerer Stofflichkeit und Leiblichkeit
nicht aufhellen. Dasselbe zeigt sich nun an der Rückverbundenheit
wieder. Dieses Dunkle ist Urtatsache und hat Hinter- / gründe im
Weltbau und im Weltgeschehen. Das Gebrochene, Herabziehende,
Geistungemäße der Natur kann nie ganz überwunden werden.
Denn die Natur ist in sich selbst uneins, wie uns die Ungeschlossen-
heit, Unganzheit der Naturqualitäten beweist. Darum kann es dem
Geiste nie gelingen, das Qualitative der Natur ganz zu durch-
schauen. Die Sinnenwelt zeigt auch in ihren lebens- und geistartigen
Seiten etwas von Zerfallenheit, gleichsam ein Außersichgeratensein,
Formloses, Häßliches, ja eine Zerstörungssucht von Gestalt, Schön-
heit und Sinn. Die Natur ist schön, aber nirgends makellos, sie