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bringt Dinge und Wesen hervor, aber läßt sie wieder fallen, sie
lebt, aber überall tritt uns der Modergeruch des Sterbens entgegen,
sie hat Zahl und Maß, aber sie kennt keine rein mathematischen
Maße (z. B. kein wirkliches Dreieck), sondern nur annähernd meß-
bare Stofflichkeiten, in denen noch das Maßlose, das Apeiron steckt.
Soweit führt uns die Rückverbundenheitslehre des Geistes — bis
an die Schwelle der Naturphilosophie. Hier müssen wir haltmachen.
Die Geisteslehre ist selbst nicht Naturphilosophie.
Daß es ein Naturinneres, einen Naturgeist gebe, lehrt schon die
urälteste Weisheit. Sie beruht auf einer inneren Erfahrung, auf die
wir uns nur recht sammeln, von der wir uns nur genaue Rechen-
schaft geben müssen, um ihrer gewiß zu sein. Die Natur hat selbst
ihr Leben. An diesem Leben nehmen wir in der Sinnesempfindung
teil, aber diese innere Teilnahme wird uns durch die physikalisch-
mechanische Seite der Empfindung verdeckt. Hieraus ergibt sich
eine wichtige Folgerung. Besteht nämlich unser sinnliches Emp-
findungsleben in einer Teilnahme an der Innerlichkeit der Natur,
dann k a n n d i e s e T e i l n a h m e f ü r d i e N a t u r a u c h
n i c h t g l e i c h g ü l t i g s e i n . Jedes Niedere, das in einem
Höheren rückverbunden ist, wird durch diese Rückverbindung in
seinem Sein erhöht. Allerdings handelt es sich / hier nicht um eine
artgleiche, sondern um eine artungleiche, daher nur mittelbare
Rückverbundenheit und Erhöhung der Natur. Dennoch ist der
geistige Einfluß des Menschen auf die Natur unendlich groß. Doch
ist dies ein Gedanke, für den unsere Zeit kein Verständnis hat, den
weiter auszuführen auch nicht Aufgabe der Rückverbundenheits-
lehre ist.
2. Die innere Sinnesempfindung: Trieb und Instinkt
Was von der äußeren Sinnesempfindung, gilt auch von der inneren, von
Trieben wie Hunger, Durst, Bewegungsdrang, sowie von den Instinkten.
Die inneren organischen Empfindungen, mit dem Ablaufe des leiblichen Le-
bens eng verbunden, öffnen uns neue Naturqualitäten, aber sie sind allerdings
nicht der gleichen Unterscheidungen (Differenzierungen) fähig wie die äußeren
Sinnesempfindungen. Andrerseits bleiben sie umso mehr im Unmittelbaren, wel-
ches der Trennung in Vergegenständlichung und Reflexion in der Regel unzu-
gänglich ist — in der Regel, denn den Übungen der Mystiker gelingt es, innere